Der Hintermann
gefährliche Frage. Und selbst wenn ich mit ihm reden könnte, würde ich mir wohl nicht die Mühe machen, ihm von einer reichen saudischen Frau zu erzählen, die Rache üben will. Man muss daran glauben, was man tut.«
»Ich bin die Tochter von Abdul Aziz al-Bakari und eine Nachfahrin von Muhammad Abdul Wahhab. Ich glaube fest daran, was ich tue. Und mir geht es um weit mehr, als nur Rache zu üben.«
»Worum geht es Ihnen also?«
Nadia zögerte kurz. Die folgenden Worte waren nicht ihre eigenen. Sie waren ihr von dem Mann diktiert worden, der ihren Vater ermordet hatte.
»Ich will nur das Werk Abdul Aziz al-Bakaris fortführen«, sagte sie ernst. »Ich werde dem Jemeniten Geld zur freien Verfügung übergeben. Und wenn Allah will, werden eines Tages vielleicht Bomben auf den Straßen von Washington und Tel Aviv detonieren.«
»Ich vermute, dass er Ihnen sehr dankbar wäre«, sagte der Scheich vorsichtig. »Aber er wird bestimmt keinerlei Garantien geben können.«
»Ich verlange keine Garantien. Nur sein Versprechen, dass er das Geld klug und umsichtig ausgeben wird.«
»Denken Sie an eine Einmalzahlung?«
»Nein, Scheich bin Taijib, ich schlage eine langfristige Verbindung vor. Er wird den Westen angreifen. Und ich werde dafür bezahlen.«
»Wie viel würden Sie zur Verfügung stellen wollen?«
»So viel er braucht.«
Der Scheich lächelte.
»Alhamdu lillah.«
Nadia al-Bakari blieb noch eine weitere Stunde im Zelt des Scheichs. Dann folgte sie dem Talib am Rand des Wadis entlang zu ihrem Mercedes. Auf der Rückfahrt nach Riad goss es in Strömen, und es regnete noch immer, als Nadia und ihr Gefolge an Bord des Boeing Business Jets gingen, um nach Europa zurückzufliegen. Sofort nach Verlassen des saudi-arabischen Luftraums legte sie Niqab und Abaya ab und zog ein helles Kostüm von Chanel an. Dann rief sie Thomas Fowler auf seinem Landsitz nördlich von Paris an, um ihm zu sagen, ihre Gespräche in Saudi-Arabien seien besser als erwartet verlaufen. Fowler rief seinerseits sofort eine wenig bekannte Investmentgesellschaft in Nordvirginia an – ein Anruf, der automatisch zu Gabriels Schreibtisch in Raschidistan weitergeleitet wurde. Die folgende Woche verbrachte Gabriel damit, die finanziellen und juristischen Manöver eines gewissen Samir Abbas von der TransArabian Bank in Zürich aufmerksam zu verfolgen. Dann flog er, nachdem er in einem Fischrestaurant in McLean mit Carter schlecht zu Abend gegessen hatte, nach London zurück. Carter ließ ihn eine Gulfstream IV der Agency benutzen. Keine Handschellen. Keine Injektionsspritzen. Keine Ressentiments.
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S T . J AMES ’ S , L ONDON
Am Tag nach Gabriels Rückkehr nach London kündigte das altehrwürdige Auktionshaus Christie’s eine überraschende nachträgliche Einlieferung zu seiner bevorstehenden Versteigerung Venezianischer Altmeister an: Madonna und Kind mit Maria Magdalena , Öl auf Leinwand, 110 mal 92 Zentimeter, früher der Werkstatt Palma Vecchios zugeschrieben, jetzt eindeutig als Werk des großen Tizian identifiziert. Schon vormittags klingelten die Telefone bei Christie’s unaufhörlich, und bis siebzehn Uhr hatten nicht weniger als vierzig der wichtigsten Museen und Sammler ihr Interesse bekundet. An diesem Abend war die Stimmung in Green’s Restaurant geradezu elektrisch, obwohl Julian Isherwood durch Abwesenheit glänzte. »Hab ihn auf der Duke Street in ein Taxi steigen gesehen«, murmelte Jeremy Crabbe in seinen Gin mit Bitters. »Hat schlimm ausgesehen, der arme Kerl. Wollte ’nen ruhigen Abend mit seiner Erkältung verbringen.«
Dass ein bisher unbekanntes Gemälde von einem Künstler wie Tizian auftaucht, passiert selten genug, und um ein solches Auftauchen rankt sich meist eine gute Story. Das war auch bei Madonna und Kind mit Maria Magdalena der Fall, aber ob dies eine tragische, komische oder moralische Geschichte war, hing ganz davon ab, wer sie erzählte. Um die Provenienz des Gemäldes zu untermauern, veröffentlichte Christie’s eine gekürzte Version, die in dem kleinen Dorf St. James’s in West London sofort als glatt gebügeltes Gewäsch abgetan wurde. Schon bald gab es eine inoffizielle Version der Story, die etwa folgendermaßen lautete:
Irgendwann im August des vergangenen Jahres soll ein ungenannter Adliger in Norfolk, der einen beeindruckenden Titel, aber wenig Bargeld hatte, widerstrebend beschlossen haben, sich von einem Teil seiner Kunstsammlung zu trennen. Dieser Adlige nahm Verbindung zu einem
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