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Der Hirte (German Edition)

Der Hirte (German Edition)

Titel: Der Hirte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Dübell
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machte ein unglückliches Gesicht.
„Es ist auch für dich zu gefährlich“, sagte Schwester Venia. „Gehen wir nach Trier.“
Rainald packte den Ast, rammte ihn ein paar Mal probehalber in den Boden und stieg dann wortlos ins Wasser.
Die Kälte ließ ihn nach Luft schnappen. Es gab tatsächlich noch etwas Kälteres als den Schnee. Das Wasser hätte sich von Rechts wegen wärmer anfühlen müssen, aber es tat es nicht. Seine Zehen begannen zu prickeln, als ziehe jemand ein Nadelkissen darüber. Die Steine auf dem Flussboden waren schlüpfrig. Er rutschte schon nach den ersten zögernden Schritten ab und musste sich auf den Ast stützen. Das Wasser spritzte auf und in sein Gesicht, wo es brannte wie Feuer. Er wechselte den Griff am Ast. Sein Blick fiel wieder auf die wie eingeätzten Spuren von Caesars Blut zwischen seinen Fingern. Eine wässrig rote Spur rann zwischen seinen Knöcheln hervor, wo das Wasser das getrocknete Blut wieder auflöste. In seinen Fußsohlen drückte jetzt ein dumpfer Schmerz zusätzlich zum Prickeln der Kälte, wo er sich an den Steinen angestoßen hatte. Er blickte über die Schulter; er hatte eine erbärmliche Strecke zurückgelegt. Mit einem Stock hätte selbst Blanka ihn vom Ufer aus antippen können. Rainald biss die Zähne zusammen, mied die Blicke seiner drei Gefährten und watete weiter.
Als das Wasser ihm über die Knie ging und begann, seine Hosen zu durchnässen, gewann die Kälte eine neue Qualität. Rainalds Füße waren gefühllos, nur dort, wo die Steine gegen seine Sohlen drückten, spürte er einen Schmerz, von dessen Intensität er erstaunt war.
Er hatte noch nicht einmal ein Viertel der Strecke geschafft. Wenn er sicher drüben angekommen war, bedeutete das nichts weiter, als dass er wieder zurück musste, um danach Blanka, Johannes und Schwester Venia über den Fluss zu tragen. Plötzlich wusste er, dass er es nicht schaffen würde, insgesamt vier Mal über den Fluss zu gehen; er würde es noch nicht einmal das erste Mal schaffen. Er blieb stehen, auf seinen Ast gestützt, und drehte sich um. In diesem Moment hielt ihn nur die Kälte des Wassers davon ab, auf die Knie zu sinken und sich einfach seitwärts in den Fluss gleiten zu lassen.
Blanka und Johannes standen hart am Ufer und starrten zu ihm herüber. Schwester Venia hielt sich abseits, aber auch ihr Blick ruhte auf ihm. Sie nickte und formte mit den Lippen unhörbare Worte: Komm zurück.
Es gibt Weisungen, denen folgt der Körper, wenn der Geist nicht klug genug ist, sie auszuführen. Dies war eine davon. Rainald hatte das Gefühl, sich selbst dabei zuzusehen, wie er sich auf den Rückweg machte, geschlagen von einem ruhig dahinströmenden Fluss, den er im Sommer durchschwommen hätte, ohne sich danach anders als erfrischt zu fühlen. Am Ufer angekommen, schleppte er sich zu seinem Pelz und ließ sich darauf niederfallen. Seine Füße waren fast weiß; als er sie in die Hände nahm, war er entsetzt, wie kalt sie sich anfühlten und dass seine klammen Hände überhaupt in der Lage waren, noch mehr Kälte zu spüren. Er drückte das starre Fleisch zusammen und ächzte vor Schmerz. Als er die Zehen zu bewegen versuchte, dauerte es eine Weile, bis die halb erfrorenen Gliedmaßen in der Lage waren, dem Befehl des Gehirns nachzukommen.
„Die Pelze, Kinder“, sagte Schwester Venia.
Blanka und Johannes zogen die Pelzlappen, mit denen Rainald sich in den Stiefeln geschützt hatte, unter ihrer Kleidung hervor, und begannen, seine Füße einzuwickeln. Die Körperwärme war zugleich angenehm und schmerzhaft. Rainald sah seinen Kindern dabei zu, wie sie seine Füße einpackten, seine Stiefel holten und ihn hineinschlüpfen ließen. Er sagte kein Wort. Er fühlte sich zutiefst gedemütigt.
„Kein Grund, sich klein zu fühlen“, sagte Schwester Venia, als habe sie seine Gedanken gelesen. „Sich helfen zu lassen, ist ein Zeichen von Größe.“
„Ich habe versagt“, flüsterte Rainald.
Sie zuckte mit den Schultern. „Weil du den Fluss nicht überqueren konntest? Das hätte niemand geschafft.“
Rainald schüttelte den Kopf. „Ich habe versprochen, euch in Sicherheit zu bringen. Ich habe versagt.“
„Bring uns in die Stadt. Dann hast du dein Versprechen erfüllt.“
„Ihr habt euch darauf verlassen, dass ihr unter meiner Obhut in Sicherheit wärt. Ich habe versagt. Damals wie heute.“
„Was ist passiert, Rainald?“
Rainald blickte auf. Er fühlte seine Augen überlaufen, aber für diesen einen Augenblick war er zu

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