Der Historiker
tauchte mein neuer Freund unverhofft an meiner Seite auf, ein Schatten, schläfrig schlurfend. »Ist etwas nicht in Ordnung?« Forschend sah er über die Mauer.
Ich zeigte auf das Glimmen. »Könnte das ein Zigeunerlager sein?«
Er lachte. »Nein, nicht so weit von der Zivilisation.« Er ließ seiner Antwort ein Gähnen folgen, aber seine Augen sahen im Licht unseres schwach glühenden Feuers hellwach aus. »Ist aber seltsam. Sehen wir es uns doch mal aus der Nähe an.«
Die Idee gefiel mir gar nicht, aber Minuten später schon hatten wir unsere schweren Schuhe an und schlichen leise den Pfad in Richtung des Geräuschs hinunter, das immer lauter wurde, mit einem Auf und Ab und einer unheimlichen Melodie – keine Wölfe, dachte ich, sondern Männerstimmen. Ich versuchte, nicht auf die verstreut herumliegenden Zweige zu treten. Zwischendurch beobachtete ich, wie Georgescu in seine Tasche langte. Er hat eine Pistole, dachte ich befriedigt. Bald schon konnten wir ein Feuer durch die Bäume flackern sehen, und Georgescu machte mir ein Zeichen, mich zu ducken und ihm ins Unterholz zu folgen.
Wir waren an eine Lichtung gekommen, die erstaunlicherweise voller Männer war. Sie standen in einem doppelten Kreis um ein großes Feuer, sahen in die Flammen und sangen. Einer, offenbar ihr Anführer, stand direkt am Feuer, und wann immer ihr Gesang zu einem Crescendo anschwoll, grüßten die Männer ihn mit schräg nach oben gestrecktem rechtem Arm, wobei sie die linke Hand auf die Schulter ihres Nachbarn legten. Ihre Gesichter, die im Licht des Feuers merkwürdig orange aussahen, waren starr und ohne ein Lächeln, und ihre Augen glitzerten. Die Männer trugen eine Art Uniform, dunkle Jacken über grünen Hemden und schwarze Krawatten.
»Was sind das für Leute?«, murmelte ich Georgescu zu. »Was singen sie da?«
»Alles für das Vaterland«, zischte er in mein Ohr. »Bleiben Sie ganz ruhig, oder wir sind tot. Ich glaube, das ist die Legion Erzengel Michael. «
»Was ist das?« Ich versuchte, nur meine Lippen zu bewegen. Es wäre schwierig gewesen, sich irgendetwas weniger Engelhaftes vorzustellen als diese steinernen Gesichter und die gestreckten Arme. Georgescu zog mich weg, und wir schlichen zurück in den Wald. Aber bevor wir uns umdrehten, sah ich eine Bewegung auf der anderen Seite der Lichtung, und zu meinem wachsenden Erstaunen entdeckte ich dort einen großen, breitschultrigen Mann in einem Mantel, das schwarze Haar und fahle Gesicht für eine Sekunde vom Feuerschein erhellt. Er stand außerhalb des Ringes uniformierter Männer und trug eine vergnügte Miene zur Schau; er schien tatsächlich zu lachen. Kurz darauf konnte ich ihn nicht mehr sehen und dachte, dass er zwischen den Bäumen verschwunden sein musste. Dann zog mich Georgescu den Pfad hinauf.
Als wir sicher in der Ruine angekommen waren – seltsamerweise fühlte ich mich hier plötzlich sicher –, setzte sich Georgescu ans Feuer und steckte sich seine Pfeife an, ganz so, als wolle er sich damit Erleichterung verschaffen. »Guter Gott«, keuchte er. »Das hätte unser Ende sein können.«
»Wer waren diese Leute?«
Er warf sein Streichholz ins Feuer. » Verbrecher«, sagte er kurz. »Man nennt sie auch die Eiserne Garde. Sie ziehen durch die Dörfer, sammeln die jungen Männer ein und erziehen sie zum Hass. Es sind vor allem die Juden, die sie hassen und von denen sie die Welt befreien wollen.« Er zog kräftig an seiner Pfeife. »Wir Zigeuner wissen ganz genau, dass dort, wo man Juden umbringt, die Zigeuner gleich mit ermordet werden. Und gewöhnlich auch noch eine Menge anderer Leute.«
Ich beschrieb ihm die seltsame Gestalt, die ich außerhalb der Kreise gesehen hatte.
»Oh, ganz sicher«, murmelte Georgescu. »Sie ziehen alle möglichen merkwürdigen Bewunderer an. Nicht mehr lange, und sämtliche Schäfer in den Bergen werden sich ihnen angeschlossen haben.«
Es dauerte etwas, bis wir wieder Schlaf finden konnten, aber Georgescu versicherte mir, es sei nicht wahrscheinlich, dass die Männer der Legion den Berg heraufkämen, nachdem sie ihr Ritual bereits begonnen hätten. Ich döste lediglich vor mich hin und war erleichtert, als die Dämmerung unseren Adlerhorst heraufzuziehen begann. Es war jetzt still, leicht neblig, und kein Wind regte sich in den Bäumen um uns herum. Kaum dass es hell genug war, ging ich vorsichtig hinüber zu den brüchigen Gewölben der Kapelle und untersuchte die Wolfsspuren. Sie waren klar in der Erde neben der
Weitere Kostenlose Bücher