Der Historiker
meiner Katze in meiner Wohnung in Schach gehalten hatte, indem ich über Mitternacht hinaus in meinen Büchern über die holländischen Kaufleute las, die mir so ans Herz gewachsen waren. Irgendetwas hatte auch Helen beschützt, wenigstens bis zu einem gewissen Grad. Sie war grausam verletzt worden, hatte aber nicht zu viel Blut verloren. Wir sahen uns schweigend an.
›Es hätte weit schlimmer kommen können‹, sagte sie.
Ich legte meine Arme um sie und fühlte, wie ihre sonst so festen Schultern zitterten. Auch ich selbst zitterte. ›Ja‹, flüsterte ich. ›Aber wir müssen dich vor allem Weiterem schützen.‹
Sie schüttelte plötzlich den Kopf, als wunderte sie sich. ›Und das in einem Kloster! Ich kann es nicht verstehen. Die Untoten verabscheuen solche Orte.‹ Sie zeigte auf das Kreuz über der Tür, das Madonnenbild und das heilige Licht in der Ecke. ›Hier im Angesicht der Jungfrau?‹
›Ich verstehe es auch nicht‹, sagte ich langsam und drehte ihre Hand in meiner. ›Aber wir wissen, dass Mönche Draculas Gebeine transportiert haben und er wahrscheinlich auch in einem Kloster begraben wurde. Auch das ist etwas Merkwürdiges. Helen…‹, ich drückte ihr die Hand. ›Ich muss noch an etwas anderes denken. Der Bibliothekar von zu Hause, er hat uns in Istanbul und in Budapest gefunden. Könnte er uns auch hierher gefolgt sein? Könnte der dich in der Nacht angegriffen haben?‹
Sie zuckte zusammen. ›Ich weiß. Er hat mich in der Bibliothek gebissen, also könnte er mich wieder wollen, oder? Aber im Traum hatte ich ganz stark das Gefühl, es wäre etwas… etwas viel Mächtigeres. Aber wie konnte einer von ihnen hier hereinkommen, selbst wenn er keine Angst vor dem Kloster hat?‹
›Das ist einfach.‹ Ich deutete auf das Fenster, das kaum zwei Meter von Helens Bett leicht offen stand. ›Mein Gott, warum nur habe ich dich hier allein gelassen?‹
›Ich war nicht allein‹, erinnerte sie mich. ›Hier im Raum haben noch fünf andere Frauen geschlafen. Aber du hast Recht, er kann die Gestalt wechseln, wie meine Mutter sagt. Er wird zu einer Fledermaus, zu Nebel…‹
›Oder einem großen schwarzen Vogel.‹ Ihr Traum trat mir wieder vor Augen.
›Jetzt bin ich zweimal gebissen worden, mehr oder wenige‹, sagte sie fast träumerisch.
›Helen!‹ Ich schüttelte sie. ›Ich werde dich nie wieder allein lassen, nicht für eine Stunde.‹
›Nie mehr werde ich eine Stunde für mich selbst haben?‹ Da war ihr altes Lächeln wieder, sarkastisch, voller Liebe.
›Und ich möchte, dass du mir versprichst… Wenn du etwas spürst, was ich nicht spüren kann, wenn du spürst, dass etwas nach dir sucht…‹
›Werde ich es dir sagen, Paul. Wenn ich so etwas spüre.‹ Ihre Stimme klang fest, und ihr Versprechen schien sie mit Tatendrang zu erfüllen. ›Komm, bitte. Ich brauche etwas zu essen, und ich brauche einen Schluck Rotwein oder Schnaps, wenn sich welcher auftreiben lässt. Bring mir ein Handtuch und die Schüssel dort. Ich werde mir den Hals waschen und ihn verbinden.‹ Ihre handfeste, praktische Art wirkte ansteckend auf mich, und ich gehorchte ihr gleich. ›Später gehen wir in die Kirche, und wenn uns niemand beobachtet, reinigen wir die Wunde mit Weihwasser. Wenn mir das nichts ausmacht, können wir wirklich Hoffnung fassen. Wie merkwürdig…‹ Ich war froh, ihr zynisches Lächeln wieder zu sehen. ›Ich habe immer gedacht, dieses ganze Kirchentamtam ist Unsinn, und immer noch mache ich mit.‹
›Offenbar denkt er auch nicht, dass es Unsinn ist‹, sagte ich nüchtern.
Ich half ihr, sich den Hals zu säubern, und bemühte mich dabei, nicht die offene Wunde zu berühren. Als sie sich anzog, hielt ich die Tür im Auge. Der Anblick der Wunde aus nächster Nähe war so schlimm, dass ich einen Moment lang glaubte, hinausgehen zu müssen, um meinen Tränen freien Lauf lassen zu können. Aber auch wenn sich Helen nur vorsichtig bewegte, konnte ich doch die Entschlossenheit auf ihrem Gesicht erkennen. Sie band sich ihr übliches Halstuch um und fand eine Schnur in ihrem Gepäck, mit der sie sich das Kruzifix wieder um den Hals hängen konnte. Die Schnur war stärker als die Kette, hoffte ich. Ihr Bettzeug war hoffnungslos befleckt, aber nur mit einzelnen Spritzern. ›Wir werden die Mönche daran erinnern… Nun, dass Frauen in ihrer Herberge waren‹, sagte Helen in ihrer direkten Art. ›Es ist sicher nicht das erste Mal, dass sie etwas Blut auswaschen müssen.‹
Als wir aus
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