Der Historiker
dann sehr sanft, was es denn zum Nachtisch gebe, und ich holte Mrs Clays ärmlichen Reispudding mit Johannisbeeren herein, den sie uns immer zum Trost machte, wenn sie allein in einen Film im British Center ging.
Ich hatte mir Oxford ruhig und grün vorgestellt, als eine Art Freiluftkathedrale, in der die Dozenten in mittelalterlichen Gewändern auf und ab liefen, jeder mit einem Studenten an seiner Seite, und Vorträge über Geschichte, Literatur und unklare Theologien hielten. Die Wirklichkeit dagegen war erschreckend laut und unruhig: Motorräder und hupende Autos, die überall herumschossen und nur knapp die Studenten verfehlten, die über die Straßen eilten, daneben auf einem Bürgersteig eine Gruppe Touristen, die ein Kreuz fotografierten, wo vierhundert Jahre früher, zu einer Zeit, als es noch gar keine Bürgersteige gab, ein paar Bischöfe auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden waren. Die Dozenten und Studenten trugen enttäuschend moderne Kleidung, oft Wollpullover, die Dozenten dazu Flanellhosen, die Studenten Jeans. Mit Bedauern dachte ich, wie es hier vor gut vierzig Jahren, zu Rossis Zeiten, ausgesehen haben musste. Wären wir damals in der High Street aus dem Bus gestiegen, wären uns sicher mehr ehrbar gekleidete Leute entgegengekommen.
Dann sah ich mein erstes College, das sich im Morgenlicht über der Mauer erhob, die es umgab; nicht weit davon im Dunst ragte die fast perfekte Silhouette der Radcliffe Camera auf, die ich zuerst für ein kleines Observatorium hielt. Dahinter sah man die Türme einer großen braunen Kirche. Die Straße wurde von einer so alten Mauer gesäumt, dass selbst die Flechten darauf aus einer anderen Zeit zu stammen schienen. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie wir auf jemanden gewirkt hätten, der hier entlangging, als die Mauer noch neu war – ich in meinem kurzen roten Kleid, den gehäkelten weißen Strümpfen und mit meiner Schultasche, mein Vater in seinem Marineblazer und den grauen Hosen, dem schwarzen Rollkragenpullover und mit seinem Tweedhut, und beide ziehen wir einen kleinen Koffer hinter uns her. »Da sind wir«, verkündete mein Vater, und zu meiner Freude traten wir auf ein Tor in der flechtenüberzogenen Mauer zu. Es war verschlossen, und wir warteten, bis uns ein Student die schmiedeeisernen Flügel öffnete.
Mein Vater sollte in Oxford auf einer Konferenz über die politischen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Osteuropa sprechen, die sich in einer Phase heftigen Tauwetters befanden. Da die Konferenz von der Universität ausgerichtet wurde, hatte man uns eingeladen, im Haus eines der College-Rektoren zu wohnen. Die Rektoren, erklärte mir mein Vater, waren gutmütige Diktatoren, die sich um die Studenten der Colleges kümmerten. Wir traten durch einen dunklen, niedrigen Durchgang und dann hinaus ins helle Sonnenlicht des quadratischen Innenhofes, und mit einem Mal wurde mir bewusst, dass auch ich bald in ein College gehen würde, und ich kreuzte die Finger auf dem Griff meiner Schultasche und flüsterte den Wunsch, mich dann in einem Hafen wie diesem wiederzufinden.
Um uns herum lagen leicht ausgetretene Schieferplatten, hier und da unterbrochen von Schatten spendenden Bäumen – ernsten, melancholischen alten Bäumen, unter denen vereinzelt Bänke standen. Vor dem Hauptgebäude des Colleges erstreckte sich ein Viereck perfekt gepflegten Rasens mit einem kleinen Teich. Es war eines der ältesten Colleges Oxfords, von Edward II. im dreizehnten Jahrhundert gestiftet, und die letzten Anbauten stammten von elisabethanischen Baumeistern und datierten im sechzehnten Jahrhundert. Sogar das sorgsam gepflegte Stück Rasen wirkte ehrwürdig; die ganzen Tage sah ich nie jemanden darauf treten.
Wir gingen um Gras und Wasser herum zum Pförtner und von da aus in unsere Zimmer, die neben denen des Rektors lagen. So wie diese Räume musste früher das ganze College ausgesehen haben, obwohl nur schwer zu sagen war, wofür man sie ursprünglich verwendet hatte. Die Decken waren sehr niedrig, die Wände dunkel getäfelt und die bleiverglasten Fenster winzig. Das Zimmer meines Vaters hatte blaue Vorhänge, meines, zu meiner größten Freude, ein großes Bett mit einem Himmel aus Chintz.
Wir packten ein wenig aus, wuschen uns die Reisegesichter im blassgelben Becken unseres gemeinsamen Badezimmers und gingen dann zu Rektor James, der uns in seinem Büro am anderen Ende des Gebäudes erwartete. Er war ein herzlicher Mann mit gütiger Stimme, ergrauendem
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