Der Hobbit
Lichter wieder! Letzte Nacht haben die Wachmänner sie auch gesehen. Von Mitternacht bis zum Morgen sind sie immer wieder aufgeflammt und verblasst. Irgendwas tut sich da oben.«
»Vielleicht schmiedet der König unter dem Berge dort Gold«, sagte ein anderer. »Ist lange genug her, dass er nach Norden gefahren ist. Wird auch Zeit, dass die alten Lieder mal wahr werden.«
»Was für ein König?«, sagte einer mit einer knarrenden Stimme. »Viel eher ist es das Feuer des Drachen, der die Gegend verwüstet. Der ist der einzige König unter dem Berge, den wir kennen.«
»Sie sehen aber auch immer schwarz!«, sagten die anderen. »Ob Sie nun Überschwemmungen voraussagen oder Fischvergiftungen. Lassen Sie sich doch mal was Netteres einfallen!«
Dann tauchte plötzlich ein heller Lichtschein weiter unten in den Hügeln auf, und das nördliche Ende des Sees färbte sich golden. »Der König unter dem Berge!«, riefen die Leute. »Sein Reichtum strahlt wie die Sonne! Die Quellen speien Silber und Gold! Der Fluss kommt golden vom Berg herab!« Überall gingen Fenster auf, und von allen Seiten hörte man Fußgetrappel.
Wieder einmal herrschte Hochstimmung, Begeisterung. Aber der Mann mit der knarrenden Stimme rannte in aller Eile zum Bürgermeister. »Der Drache kommt, oder ich will ein Narr sein!«, rief er. »Brecht die Brücken ab! Zu den Waffen! Zu den Waffen!«
Dann wurden die Alarmtrompeten geblasen und hallten von den felsigen Ufern wider. Der Jubel brach ab, die Freude schlug um in Entsetzen. So kam es, dass der Drache die Stadt nicht ganz unvorbereitet fand.
Binnen kurzem, so schnell flog er, sahen sie ihn als glühenden Funken herangestürmt kommen, immer größer undheller werdend, und es waren nicht die Dümmsten, die auf die Prophezeiungen der alten Lieder nun nicht mehr viel geben wollten. Immerhin, sie hatten ein wenig Zeit. Jedes Gefäß in der Stadt war mit Wasser gefüllt, jeder Krieger war bewaffnet, jeder Pfeil oder Bolzen griffbereit, und die Brücke zum Land war niedergerissen, bevor das Brausen, das man nun nicht mehr überhören konnte, beängstigend laut wurde und der See sich unter dem mächtigen Flügelschlag des Drachen feuerrot kräuselte.
Begleitet von Geschrei, Gejammer und Kommandorufen überflog er die Stadt und schwenkte zur Brücke hin ab – doch da kam er zu spät! Die Brücke lag in Trümmern. Seine Feinde standen auf einer Insel im tiefen Wasser – jedenfalls zu tief und kalt und dunkel für seinen Geschmack. Wäre er hineingetaucht, hätte es eine Dampfwolke gegeben, die das Land ringsum tagelang mit Nebel bedeckte; aber der See war stärker als er und hätte sein Feuer gelöscht, ehe er die Stadt erreichte.
Fauchend drehte er ab und flog wieder über die Stadt hin. Ein dunkler Pfeilhagel stieg auf, knallte und klapperte gegen seine juwelenbesetzten Schuppen, und dann sanken die Schäfte, von seinem Atem entzündet, brennend herab und fielen zischend in den See. Ein Feuerwerk wie in dieser Nacht über der Seestadt habt ihr bestimmt noch nie gesehen. Das Schwirren der Bogensehnen und das Schmettern der Trompeten trieben den Zorn des Drachen bis zu blinder Raserei. Seit ewigen Zeiten schon hatte niemand mehr gewagt, sich ihm zum Kampf zu stellen; und auch heute hätten sie es nicht gewagt, wäre dieser Kerl mit der knarrenden Stimme (er hieß übrigens Bard) nicht gewesen, der wie ein Verrückter herumrannte, die Bogenschützen anfeuerte undden Bürgermeister unter Druck setzte, Befehl zu geben, dass bis zum letzten Pfeil gekämpft werden müsse.
Feuer züngelte aus dem Maul des Drachen. Eine Weile kreiste er hoch in der Luft über der Stadt, wie ein Leuchtfeuer, das den ganzen See erhellte. Die Bäume am Ufer glänzten wie Kupfer und Blut, zu ihren Füßen zuckende tiefschwarze Schatten. Dann stieß der Drache herab, mitten durch das Pfeilgewitter, unbändig in seiner Wut, ohne sich darum zu kümmern, ob er seinen Feinden die schuppigen Seiten zukehrte, einzig darauf bedacht, ihre Stadt in Flammen aufgehen zu lassen.
Feuer sprang auf von Schilfdächern und Balkenenden, als er vorüberzog, kreiste und wiederkam. Aber vorher war alles mit Wasser übergossen worden, und auch jetzt waren hundert Hände bereit, die Eimer dorthin zu reichen, wo auch nur ein Funke sich zeigte. Wieder stieß der Drache herab. Ein Schwanzhieb, und das Dach der großen Halle splitterte und stürzte ein. Unlöschbare Flammen schossen hoch auf in die Nacht. Noch ein Anflug und noch einer, und jedes Mal
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