Der Hochzeitsvertrag
ihr ein.
Emily öffnete Nicholas' Aktenmappe, zerrte die kleine Tasche heraus, die sie in der Kutsche hineingestopft hatte, und öffnete sie, um das Tuch herauszuziehen. Wie sie sah, war es schmutzig und blutverschmiert. Nein, das konnte sie nicht mehr verwenden.
Hatte vielleicht auch Nicholas Taschentücher eingepackt?
Gewissensbisse plagten sie, als sie seine Aktenmappe erneut nahm. Er hatte ihr am Vorabend klar gemacht, was er davon hielt, wenn sie in seinen Sachen herumwühlte. Emily seufzte. Was sollte sie tun? Nach unten gehen? Nein! Sie zog es vor, die Gewissensbisse zu ignorieren und auch die Erinnerung daran, wie zornig Nicholas gewesen war, als er sie in seinem Arbeitszimmer angetroffen hatte. Fach für Fach durchsuchte sie die Aktenmappe. Sie fand Handschuhe, außerdem Schreibzeug, einen Kamm, eine Halsbinde …
"Na also", murmelte sie, als sie einige frische weiße Leinentücher in einer Seitentasche entdeckte. Sie wollte die Tasche schon schließen, da fiel ihr ein langer brauner Umschlag auf. Neugierig zog sie ihn heraus.
Das Wort "Verlobungsvertrag" stand darauf.
Fassungslos blickte Emily auf das Papier in ihren Händen und dachte, sie würde ohnmächtig werden. Das ist unmöglich, schoss es ihr durch den Kopf.
Es war nicht Nicholas' Handschrift auf dem Kuvert, das war ihr klar. Vielleicht enthielt der Umschlag ja nicht das, was sie vermutete. Womöglich hatte Nicholas den Vertrag für jemand anders in Verwahrung genommen. Vorsichtig, als würde der Umschlag giftige Dinge enthalten, öffnete sie ihn und zog ein Blatt Papier heraus.
Als sie es entfaltete, musste sie sich eingestehen, dass das Dokument genau das war, wofür sie es gehalten hatte: Es bewies, dass Nicholas sie belogen hatte. Dem Datum nach war er mit Dierdre Worthing seit seinem achtzehnten Geburtstag verlobt gewesen, lange bevor er anfing, Emily zu umwerben, lange bevor sie alt genug war, um hofiert zu werden.
All die Jahre hatte sie gedacht, sie wären gute Freunde. Und doch hatte er sein Verlöbnis ihr gegenüber nie erwähnt. Und dann hatte er sie geküsst, und obwohl er niemals um sie angehalten hatte, hatte er ihr doch zumindest den Eindruck vermittelt, er könnte es tun.
Das Schlimmste aber war, dass er gelogen hatte, als sie ihn vor der Hochzeit gefragt hatte, ob er mit Dierdre verlobt sei. Was für ein Schuft er doch war! Doch warum hatte er sie getäuscht? Wütend blickte sie auf das Dokument in ihren Händen.
Dass Nicholas ihr nicht die Wahrheit gesagt hatte, bevor er nach Indien gereist war, konnte sie verstehen, wenn auch nicht billigen. Aber warum hatte er ihr den Verlobungsvertrag verschwiegen und Emily trotz des Abkommens geheiratet? Unglücklich sah sie auf das Dokument hinab. Sie hielt das Papier so fest, dass es an manchen Stellen bereits zerknittert war. Widerwillig glättete sie es, obwohl sie es am liebsten zerrissen hätte.
Natürlich war das Dokument wertlos. Es hatte nur einen Zweck erfüllt: Ihre Hoffnungen auf eine glückliche Zukunft mit Nicholas zu zerstören. Denn wie konnte sie ihm jetzt noch vertrauen?
Der Skandal, den Dierdres Familie wegen des Vertrags heraufbeschwören würde, würde sie für den Rest ihres Lebens demütigen. In Prozessen um gebrochene Heiratsversprechen waren schon ganze Familienvermögen verloren worden. Nicholas wusste das sicher besser als sie. Aber er hatte sie nicht gewarnt.
Ihre Fantasie ging mit ihr durch.
Vielleicht hatte Nicholas verhindern wollen, dass sie London überhaupt erreichte …
9. Kapitel
Nicholas kam erst am frühen Nachmittag zurück, da er die Bergung der Reisetruhen persönlich hatte überwachen wollen. Die Kutsche war völlig zerstört worden. Er weigerte sich, sich vorzustellen, was mit Emily passierte wäre, wenn sie in dem Gefährt den teilweise felsigen Abhang hinuntergestürzt wäre.
Noch überlegte er, ob sie die Nacht nicht im Gasthof verbringen sollten. Emily war vielleicht zu aufgewühlt für die Weiterfahrt. Und wenn sie gleich aufbrachen, würden sie erst spät in der Nacht in London eintreffen. Doch sollten sie im Gasthof übernachten, müssten sie sich die Schlafkammer teilen. Er entschied sich, Emily die Entscheidung zu überlassen.
"Wrecker", ordnete er an, "sag Herring, er soll das Gespann nehmen und damit nach Bournesea zurückkehren. Mit dem verletzten Arm kann er die Mietkutsche nicht lenken."
"Ich werde fahren", erbot sich Wrecker.
"Gut", erklärte Nicholas.
"Wäre ja nicht das erste Mal, dass Sie in solchen
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