Der Hochzeitsvertrag
fragen, wohin du gehst?"
"Ich gehe aus", antwortete er, ohne Emily anzusehen. "In Zukunft wünsche ich den Tee um genau sechs Uhr zu nehmen. Und sag deiner Kammerzofe, sie soll morgen um neun Uhr bei mir im Arbeitszimmer erscheinen."
"Rosie? Weshalb?" erkundigte Emily sich ärgerlich.
Er hatte Recht gehabt. Sie wollte ihn unbedingt provozieren!
"Weshalb, Kendale?"
Nicholas öffnete die Tür und hielt inne, ihr halb zugewandt. Er war am Ende seiner Geduld. "Wenn es Sie etwas anginge, Mylady, würde ich es Ihnen erklären."
"Ich wünsche trotzdem eine Erklärung!" beharrte sie.
Aber er ließ sich nicht aufhalten. Statt in seinem Zimmer auszuruhen, nahm er seinen Mantel, setzte den Zylinder auf und verließ das Haus. Ich kann genauso gut gleich mit Dierdres Vater sprechen statt später am Abend, dachte er ärgerlich. Anstrengend wird es in jedem Fall.
Nachher würde er dem alten Club seines Vaters einen Besuch abstatten. Er hatte das Gefühl, dass er schon bald einen strategischen Rückzugsort außerhalb des Hauses benötigte. Im Laufe der Jahre hatte er vergessen, wie eigensinnig und temperamentvoll Emily gelegentlich sein konnte. Vielleicht hätte er ihr einen Kuss geben sollen. Das schien das Einzige zu sein, was sie zum Schweigen brachte!
Nicholas hoffte, dass auch sein alter Freund Viscount Duquesne sich im Club einfinden würde. Er hatte ihm durch einen Boten eine Nachricht überbringen lassen mit der Bitte, ihn am Abend dort zu treffen.
Was auch immer in London passierte, Viscount Duquesne konnte es in Erfahrung bringen. Er hatte in allen Gesellschaftsschichten Kontakte, um die ihn jeder Agent seiner Majestät beneiden würde. Vielleicht war es Duquesne möglich, ihm Leute zu empfehlen, die Ermittlungen anstellten, wer für den Anschlag auf die Kutsche verantwortlich war. Wrecker sollte sich in den Docks umhören, ob Sir Julius Munford in London eingetroffen war.
Abgesehen davon, dass er Maßnahmen ergreifen musste, um sich und Emily möglichst gut vor Gefahren zu schützen und die Sache mit der Urkundenfälschung zu klären, würde er heute wohl auch noch zu ergründen haben, weshalb Emily mit einem Mal so gereizt war.
Die Probleme Englands im House of Lords zu lösen erschien ihm im Vergleich zu dem, was ihn noch erwartete, keine große Aufgabe.
Wo war Nicholas nur hingegangen? Emily grübelte darüber nach, während sie Polly dabei zusah, wie sie die Reste der Teemahlzeit abräumte.
Wenn Wrecker sie begleitete, könnte sie Nicholas folgen. Aber es wäre einer Countess unwürdig, ihrem Ehemann nachzuspionieren. Und wenn sie ihn an einem Ort entdeckte, den Männer im Schutz der Dämmerung aufsuchten? Emily hatte in Romanen von den üblen, sündigen Bordellen gelesen, in denen lasterhafte Frauen sich für Geld den Männern anboten.
Sie sah aus dem Fenster, von dem aus man einen guten Blick über die Gärten hatte. Aber es ist noch gar nicht dunkel, dachte sie verwundert.
Upton erschien auf der Türschwelle und deutete nachlässig eine Verbeugung an. "Mylady, der Cousin Seiner Lordschaft steht unten. Sind Sie daheim?"
Emily blinzelte. "Natürlich bin ich daheim. Sie sehen mich doch, oder nicht?"
"Wie Sie wünschen. Sie wollen ihn hier empfangen?"
"Ja, führen Sie ihn herein."
Upton trat zur Seite. Ein attraktiver junger Mann mit langem blondem Haar und einem schläfrigen Lächeln trat ein. "Lady Kendale, Sie werden mich wohl nicht kennen. Ich bin Nicholas' Cousin …"
"… Mr. Hollander. Aber natürlich kenne ich Sie!" Sie lächelte ihn an.
"Ich hatte Sie schon an Ihrem Hochzeitstag besuchen wollen, aber Nicholas hat mir den Zutritt zu Bournesea Manor verweigert", meinte er leicht schmollend. "Ich habe erst am nächsten Tag davon im Dorf erfahren. Ich! Nicholas' nächster Verwandter! Sein eigen Fleisch und Blut!"
Emily zögerte einen Moment, weil sie nicht wusste, was sie auf seine Anklage am Besten erwidern sollte. Dann erklärte sie behutsam: "Es war eine Hochzeit im engsten Kreis. Ich bedauere, dass Sie gekränkt sind, aber in Bournesea war eine Krankheit ausgebrochen, und wir wollten nicht, dass jemand angesteckt wird."
"Eine Krankheit?" Er zog die Augenbrauen hoch und zupfte nervös an seinem Hemdkragen. "Um welche Krankheit handelte es sich?"
"Ach, nichts, dessentwegen Sie sich Sorgen machen müssten."
"Nun, man kann nicht vorsichtig genug sein, wie Sie wissen. Typhus?" Er erbleichte. "Es war doch kein Typhus? Oder Diphtherie?"
"Nein, keins von beiden", versicherte sie ihm.
Weitere Kostenlose Bücher