Der Höllenbote (German Edition)
diesen Kult«, fasste Jane zusammen, »und die Mitglieder dieses Kultes glauben an Aldezhor?«
»Sie sind seine Verkünder. Sie verkünden seine Prophezeiung. Sie sind seine Boten.«
Jane runzelte die Stirn. »Ist das ein Ja?«
»Ja. Es gibt einen ... Kult.«
»Die Mitglieder glauben an diesen Mythos und sie handeln, als existiere er tatsächlich?«
Dhevic sah sie an, schwieg aber.
»Sie töten, weil sie glauben, dass sie – was? – Aldezhor huldigen? Dass sie ihm Opfer darbringen?«
Dhevic nickte. »Es ist etwas komplizierter, aber im Prinzip haben Sie recht. So in etwa können Sie es sich vorstellen.«
»Sind Drogen im Spiel?«
»Keine Drogen.«
»Hypnose? Gehirnwäsche?«
»Nein. Nur die Macht, die der Glaube über Schwäche und Unschuld ausübt. Fast jeder kann ein Akolyth von Aldezhor werden.«
»Martin Parkins ist wahrscheinlich ein Spezialfall, aber meine anderen Angestellten – Carlton Spence, Marlene Troy und Sarah Willoughby – sind alle ausgeglichene, pflichtbewusste Mitarbeiter und auch insgesamt vernünftige Menschen gewesen. Keiner von ihnen war der Typ Mensch, der sich einer Sekte anschließt. Wie sind sie in die Sache hineingeraten? Wie wurden sie rekrutiert?«
»Es gibt keine Rekrutierung«, erklärte Dhevic. »Sie wurden verführt. Sie wurden übernommen. Sie können es sich als eine Form von dämonischer Besessenheit vorstellen ...«
»Ach, kommen Sie!«
»Es waren Machinationen.«
Dieses seltsame Wort zog eine Pause nach sich, die sich im ganzen Raum ausbreitete. »Was bedeutet das?«, fragte Jane gereizt.
»Aldezhor bringt Menschen dazu, nach seiner Pfeife zu tanzen, indem er sie austrickst. Er nutzt ihre Ängste und Zwangsvorstellungen aus, bringt sie dazu, sie für wahr zu halten. Er verschmilzt Lügen mit Wahrheit, damit sie ihm Glauben schenken. Vergessen Sie nicht sein eigentliches Ziel. Aldezhor ist das Sprachrohr des Satans, des größten Lügners aller Zeiten. All seine Botschaften sind daher Lügen.«
»Was hat das mit ...«
»Machination – das ist ein okkulter Begriff, der, wie gesagt, verwandt ist mit Besessenheit. Aldezhor ist ein Inkubus. Wenn er sich entkörpert – wenn er andere machiniert –, dann emaniert er seine sexuelle Persona. Er kontrolliert seine Opfer durch einen Prozess, den man entkörperte Machination nennt. Er läuft direkt hinter dem Besessenen her, als sei der Besessene eine lebensgroße Marionette. Alles kontrolliert er wie ein Puppenspieler, er sieht alles, fühlt alles. In Rauch, Regen und in Spiegeln kann man ihn erkennen. Manchmal, wenn die Auren stimmen, sieht man ihn sogar direkt hinter dem Besessenen stehen.«
Auren. Na, großartig . »Und das alles glauben Sie wirklich?«, fragte sie. »Neulich sind Sie in eine Art Trance oder etwas Ähnliches gefallen. Und Sie sagten, dass Sie es glauben.«
Dhevics Stimme schien schlagartig nachzuhallen. »Das ist keine Trance gewesen, sondern der Nebeneffekt einer Vision. Ich habe Visionen. Das ist mein Erbe; es ist über viele Jahrhunderte von meinen Vorfahren an mich weitergegeben worden.«
Es wurde totenstill. Jane bemühte sich, das alles zu verarbeiten. Visionen? Machination? Über solche Phänomene wusste sie nichts. Aber konnte sie daran glauben?
Sie versuchte, logisch zu überlegen. Sie erinnerte sich an das, was sie vor zwei Tagen in Dhevics Augen wahrgenommen hatte. Und an das, was sie gestern Abend in der Psychiatrie des Untersuchungsgefängnisses erlebt hatte ...
»Angenommen, es ist wahr«, begann sie. »Was wollen Sie? Warum sind Sie hergekommen? Die Polizei glaubt, dass Sie nur hier sind, um die Situation für Ihre reißerischen Dokumentationen auszuschlachten.«
»Dann irrt sich die Polizei und das ist bedauerlich.«
»Dann beantworten Sie meine Frage: Warum sind Sie hier?«
»Um die Ikone an mich zu bringen«, sagte Dhevic. »Die Ikone ist entscheidend für Aldezhors Macht, sich zu inkarnieren. Die Opfermorde der jüngsten Zeit wurden ausschließlich von Ihren Angestellten – von Postangestellten – begangen, und zwar durch die Kraft der Ikone ...«
»Der ... Ikone? «
Dhevic öffnete seine Ledermappe und holte die Polycarbonatplatten heraus, die er ihr schon in ihrem Büro gezeigt hatte. »Sie kennen die Ikone«, sagte er.
»Die ...« Sie versuchte, sich an das Wort zu erinnern. »... Campanula? Die Glocke?«
»Nein.« Er zeigte auf die Abbildung. »Der Klöppel.«
Jane betrachtete noch einmal den Kupferstich. Zuerst war sie erschrocken, weil die Kirche auf dem
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