Der Höllenbote (German Edition)
Mitchell weg war, aber jetzt geht’s mir wieder gut.« Sie sah zu, wie ein Stück Butter in der großen beschichteten Pfanne schmolz. »Und nachdem wir das geklärt hätten – wie wollt ihr eure Eier?«
»Rührei«, bat Jennifer.
»Spiegelei, Gesicht nach unten!«, rief Kevin. »Bloß nicht flüssig. Bäh!«
»Einmal Rührei, einmal Gesicht nach unten«, bestätigte Jane. »Kommt sofort.«
Kevin rannte aus der Küche und rief: »Bin gleich wieder da!«, während Jennifer sich an den Tisch setzte.
»Oh, wow, mir fällt gerade mein Traum ein, Mom. Ich hab geträumt, dass ich auf einem Einhorn über eine riesige sonnige Wiese voller Blumen geritten bin!«
»Klingt wunderschön.«
»Hast du was geträumt?«
Jane zwang sich, darüber nachzudenken. Sie wusste, dass sie sehr oft träumte, aber meistens kurz nach dem Wachwerden schon alles vergessen hatte. Habe ich geträumt?, überlegte sie, während sie die Eier briet. Sie verharrte mit dem Pfannenwender in der Hand. Etwas – ein Bild, eine Erinnerung, etwas sehr Dunkles – beunruhigte sie. »Ja, Liebes, ich ... ich glaube, ich habe etwas geträumt ...«
»Was denn?«
Ganz hinten in ihrem Kopf formierten sich weitere Bilder, dann die Erinnerung an Empfindungen. Die Empfindungen waren gleichzeitig erregend und unangenehm. Und dann verkrampfte sich ihr Magen. Bewegungslos stand sie da und starrte die Dunstabzugshaube an.
»Mom?«
»Ich habe nicht so schön geträumt«, antwortete Jane schließlich. Immer noch besser, als die Wahrheit zu sagen. Das, woran sie sich erinnerte, war entsetzlich. Ein anderes Bewusstsein war in ihren Geist eingedrungen und dort ungehindert umhergestreift. Ein völlig körperloses Bewusstsein – wie hatte es sie also berühren können? Denn etwas oder jemand hatte sie berührt, erst erotisch, aber dann mit Gewalt. Bei der Erinnerung an diese beiden entgegengesetzten Empfindungen drehte sich ihr Magen noch mehr um. Mein Gott, ich hab geträumt, dass ich erwürgt wurde, erinnerte sie sich. Erst wurde ich gestreichelt und dann gewürgt. Jemand hat versucht, mich zu erdrosseln.
Jane schluckte zitternd. Warum träumte sie so etwas Furchtbares? Aber in gewisser Weise war es auch verständlich. Schlimme Träume folgten oft auf schlimme Erlebnisse und davon hatte es in Danelleton in den letzten Tagen wahrlich genug gegeben. Aber bei der letzten Erkenntnis knirschte sie mit den Zähnen; ihr fiel ein, wer sie in ihrem Traum gewürgt hatte.
Ich selbst.
»Nein, ich hatte einen grässlichen Traum, Liebes. Träume können sehr merkwürdig sein. Man wird selten aus ihnen schlau. Aber wenn man genauer darüber nachdenkt, sind sie meistens ziemlich dumm.«
»Na ja, meiner war nicht dumm. Er war wundervoll. Ich hoffe, dass ich heute Nacht wieder von dem Einhorn träume. Ich konnte sogar die Blumen auf der Wiese riechen!«
Jane widmete sich wieder den Eiern, oder zumindest versuchte sie es, denn sie nahm aus den Augenwinkeln eine langsame Bewegung wahr. Sie drehte den Kopf in Richtung Küchentür. Kevin.
Er sah erschüttert aus. Starr wie ein Pfosten stand er da und verbarg etwas in seinen Händen. Ein zweiter Blick verriet Jane, dass er Tränen in den Augen hatte.
Sie ließ den Pfannenwender fallen und eilte zu ihm hinüber. »Schatz, was ist los?«
»Oh nein!«, stöhnte Jennifer, als sie sah, was er in den Händen hielt. »Was ist passiert?«
Jane sah genauer hin. Was hat er da?
Kevin schluchzte. »Mel ist tot.«
Das ist Mel?, dachte Jane.
Was Kevin in seinen Händen hielt, sah aus wie etwas von der Straße Gekratztes. Aber als Jane genauer hinschaute, erkannte sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Krötenechse. Aber da war noch etwas – etwas Feuchtes, Glänzendes –, das mit dem Kopf des Tieres verbunden zu sein schien.
Seine Innereien.
»Jemand hat ihn umgebracht, Mom. Jemand hat Mel umgebracht!«
»Na ja, Schatz«, begann Jane unsicher. »Bestimmt ist es ein Unfall gewesen oder so etwas.«
»Nein!«, beharrte der Junge. »Jemand hat ihn umgebracht!«
»Kevin, bist du sicher, dass du nicht auf ihn draufgetreten bist?« Jennifer betrachtete den Schlamassel und verzog angewidert das Gesicht. »Sieht aus, als wären seine Eingeweide rausgekommen. Du bist bestimmt auf ihn draufgetreten oder hast ihn fallen lassen.«
»Nein, hab ich nicht!«, protestierte Kevin. Jetzt ließ er seinen Tränen freien Lauf. »Er war doch im Terrarium – wie soll ich denn da auf ihn draufgetreten sein! Und es kann auch nichts auf ihn gefallen sein.
Weitere Kostenlose Bücher