Der Höllenbote (German Edition)
habe ich nicht einmal Zeit zum Essen. Wir unterhalten uns später, okay?«
»Okay.« Jane musste sich zusammenreißen. Mehr und mehr, selbst innerhalb der letzten paar Minuten, fühlte sie sich zu ihm hingezogen. »Und falls Sie keine Zeit zum Essen haben, dann kommen Sie doch heute Abend zu uns. Kevin und Jennifer machen eine ausgezeichnete Pizza.«
Steve stand auf, griff nach seinen Schlüsseln und lächelte noch einmal. »Vorsicht, ich nehm Sie vielleicht beim Wort. Man sieht sich.«
Da bin ich ja mal gespannt, dachte sie, als er gegangen war. Hatte sie ihn in Verlegenheit gebracht? Wahrscheinlich hat er sowieso keine Zeit. Aber zumindest hatte sie die Einladung ausgesprochen und etwas von dem beruflich bedingten Eis zwischen ihnen gebrochen. Manchmal staune ich über mich selbst ...
Etwas später verließ sie das Büro, um eine Runde durch das Gebäude zu machen. Sie sah sich im Lager um, unterhielt sich mit den Sortierern und vergewisserte sich, dass alles ordnungsgemäß lief. Die großen Sortiermaschinen klackerten und verursachten einen Lärm wie Maschinen in der Fabrik, während sie die Briefe automatisch in der Zustellreihenfolge sortierten und zu kleinen Stapeln zusammenfassten. Wer gerade viel zu tun hatte, nickte ihr nur zu und lächelte. Einige Leute schoben Rollwagen, beladen mit Postsäcken, aus den Lkws. Hinter den Laderampen wurden die Rollwagen von anderen Mitarbeitern entladen und gleich darauf mit ausgehender Post für die zentralen Verteilerdepots in Jacksonville und Miami bestückt.
Ein typischer Tag bei der Post. Das alles war ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Manchmal kam es ihr seltsam vor, dass die Post anderer Menschen eine so große Rolle in ihrem Leben spielte. Die meisten Durchschnittsbürger konnten sich gar nicht vorstellen, was dieser Job alles umfasste, ganz zu schweigen von der erstaunlichen Tatsache, dass der U.S. Postal Service in einem einzigen Monat mehr Post zustellte als die Menschen in der restlichen Welt im ganzen Jahr erhielten.
Jane bog in einen Seitengang und sofort verschlechterte sich ihre Stimmung. Martin Parkins war der dienstälteste Sortierer, eine höfliche Umschreibung dafür, dass er unbeförderbar war. Er hatte hängende Schultern, war übergewichtig und um die 50. Sein Haar färbte er pechschwarz, was ganz und gar nicht zu seinem gealterten Gesicht passen wollte. Gerade war er dabei, mit seinen großen schwieligen Händen Briefe in Sortierkästen zu stopfen.
Martin tat in regelmäßigen Abständen seine Unzufriedenheit kund, was Jane immer ungerührt zur Kenntnis nahm. Jedes Mal, wenn er zur Beförderung anstand, schaffte er es, das Beurteilungsgespräch mit seinem schlechten Benehmen zu vermasseln. Mittlerweile wusste Jane nicht mehr, was sie mit ihm anstellen sollte. Sie hatte ihm in der Vergangenheit bereits mehrere Abmahnungen erteilt, aber als Bundesbeamter war er so gut wie unkündbar. Sie konnte ihn nicht einmal wegen seiner Trinkerei rauswerfen. Immer, wenn er deswegen zurechtgewiesen wurde, nahm er einfach an einem siebentägigen Entzugsprogramm teil, und sobald er zurückkam, fing alles wieder von vorn an. Diesmal jedoch wollte Jane es mit einem anderen Ansatz versuchen.
Martin blickte auf, als Jane näher kam; die verärgerten Falten in seinem Gesicht erinnerten sie irgendwie an eine Schlammlawine.
»Hallo, Martin«, sagte sie.
Zur Antwort grunzte Martin nur leise. Er konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit und stemmte zwei weitere Sortierkästen auf das Band.
»Hören Sie, Martin, ich weiß, dass wir beide uns nicht besonders grün sind ...«
»Oh, ist das so?«, konterte er. »Herrje, und die ganze Zeit dachte ich, wir seien die besten Freunde. Wo Sie mich doch letztes Jahr suspendiert und meine Personalbeurteilung mit lauter Tadeln und sonstigem Mist ausgefüllt haben.«
»Sie sind jeden zweiten Tag mit einer Fahne zur Arbeit erschienen, Martin. Der Grund, dass in Ihrer Personalbeurteilung so viele Tadel stehen, liegt daran, dass Sie Ihre Arbeit nicht vernünftig erledigen, wodurch sich Ihre Einstellung nur noch weiter verschlechtert hat. Sie haben das alles selbst zu verantworten und das wissen Sie auch.«
Martin antwortete darauf nicht. Er ignorierte sie und lud weitere Kästen aufs Band.
»Und ob Sie es glauben oder nicht, Martin«, fuhr sie fort, »jetzt, wo Carlton nicht mehr bei uns ist, sind Sie der dienstälteste Mitarbeiter der Abteilung. Sie sind länger dabei als alle anderen.«
Martin schnaubte leise. »M-hm.
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