Der Höllenbote
eine karierte Jacke und enge Jeans. Unter der Jacke wurde der Stoff des roten Pullovers von zwei kleinen Hügeln gewölbt.
»Darf ich fragen, wer Sie sind?« erkundigte sich Suko im lockeren Tonfall. Er ließ sich auch von der Maschinenpistole nicht beeindrucken, die sie lässig in den Händen hielt, wobei die Waffe bei ihr ein wenig deplaziert wirkte, jedenfalls dann, wenn Suko den Vergleich zu Lady X anstellte.
»Ich heiße Linda Brackett.«
»Die Malerin?«
»Sehr richtig.«
»Und was haben Sie hier zu tun?«
»Das werde ich Ihnen vielleicht später mitteilen. Falls Yuisan es zuläßt.«
»Sie kennen ihn?«
»Ja, ich habe ihn gemalt.«
»Sollten wir nicht doch lieber zu ihr gehen?« mischte sich der alte Chinese in den Dialog.
»Gut.« Linda Brackett bewegte die Maschinenpistole ein wenig hin und her. »Gehen Sie vor.«
Damit war Suko gemeint. Er hob die Schultern und lenkte seine Schritte auf den Vorhangspalt zu, der so weit auseinanderklaffte, daß Suko bequem hindurchschreiten konnte.
Die Frau mit der Maschinenpistole in seinem Rücken interessierte ihn jetzt nicht mehr. Er hatte nur Augen für das Bild, das sich ihm bot. Es war schlicht und schrecklich.
Shao lag auf einer ausgeklappten Liege. Bleich war sie, bleich wie der Tod. Sie trug auch ein weißes Gewand, das bis zu den Knöcheln reichte und hatte die Arme eng am Körper liegen.
Genauso legte man Tote in einen Sarg.
In Suko verkrampfte sich etwas. Er spürte den kalten Schweiß auf seiner Nackenhaut und stand dicht vor einer Explosion. Wenn die Bestien Shao etwas angetan hatten, dann…
»Gehen Sie weiter!« zischte die Frau.
Suko bewegte sich wie ein Roboter. Kaum nahm er die vier langen Kerzen wahr, die die einfache Liege einrahmten. Zwei standen am Kopfende, zwei am Fußende.
Da kein Wind die Flammen bewegte, brannten sie ruhig und zeichneten hellere Kreise an die düstere Decke.
Rechts und links bewegten sich der Chinese und Linda Brackett an Suko vorbei. Die Frau blieb so stehen, daß sie über die liegende Shao hinweg mit der Maschinenpistole auf Suko zielte, der wie ein Denkmal wirkte und in Sahaos Gesicht starrte.
Seine Freundin atmete nicht. Jedenfalls konnte Suko nichts wahnehmen, und schreckliche Befürchtungen stiegen in ihm hoch, so daß er sich kaum traute, eine Frage zu stellen.
Linda Brackett verzog das Gesicht. »Wollen Sie nicht wissen, was mit ihr los ist?«
»Ich habe meinen Auftrag erfüllt«, erklärte Suko rauh. »Jetzt sind Sie an der Reihe.«
Die Frau ging darauf überhaupt nicht ein. »Wollen Sie es wirklich nicht wissen?«
Da entschloß sich Suko zu der Frage. »Ist sie tot?« Jedes einzelne Wort stieß er rauh durch die Lippen.
Jetzt gab Lai Ti Jan die Antwort. »Nein, sie ist nicht tot, noch nicht. Aber mit jeder Stunde, die vergeht, rinnt mehr Leben aus ihrem Körper…«
***
Ein leerer Bilderrahmen - das war alles, was ich noch zu sehen bekam. Keine Spur von Yuisan mehr. Der Höllenbote mußte während meiner Abwesenheit aus dem Bild geklettert sein oder aber hatte sich aufgelöst und war in eine andere Dimension geschleudert worden. Was konnte ich tun?
Ich hatte die Beretta, mein Kreuz, den Dolch - und die Lanze, auf die mein Blick fiel.
Ich bückte mich und hob sie auf.
Sie war ziemlich schwer, und sie erinnerte mich an die Waffe, die Myxin dem Herrn der roten Hölle abgenommen hatte. Auch er besaß eine Lanze, aber diese hier war nicht seine, und sie gehörte auch nicht den Dienern des Spuks, denn die Waffen kannte ich genau, sie besaßen keinen Handschutz dicht über dem Griff, wie die Lanze, die ich zwischen den Fingern hielt.
Meine Gedanken begannen zu arbeiten. Sie glitten zurück in die Vergangenheit, und ich dachte darüber nach, wo ich die Lanze schon gesehen hatte.
Es gab da etwas, dessen war ich mir sicher!
Noch einmal schaute ich genau hin. Sie hatte etwas Mittelalterliches an sich, zeigte die gleiche Form und kam mir vor wie eine Lanze, die bei Turnierkämpfen benutzt wurde, wenn kampfstarke Ritter aufeinander zu ritten.
Zu ritten?
Da hatte ich die Verbindung! Diese Waffe gehörte einem Reiter. Und zwar einem bestimmten. Dem Horror-Reiter!
Die Übersetzung, die ich vorhin gelesen hatte, der Vergleich mit AEBA, jetzt die Lanze mit der blutigen Spitze, all das summierte sich, und es formte sich langsam zu einem verwaschenen Bild.
Der Höllenbote und AEBA standen in einem ursächlichen Zusammenhang. Zwei Größen waren untereinander gleich. Dieser alte mathematische Satz fiel
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