Der Höllenbote
mein Mann nach China. Natürlich wollte ich mit und bettelte so lange, bis er zustimmte und ich eine Einreiseerlaubnis bekam. Leider gelang es mir nicht, Lai Ti Jan mitzunehmen, aber er wollte auch nicht so recht. Oder sehe ich das falsch?« Linda Brackett schaute dem Alten in das faltenreiche Gesicht.
»Nein, du siehst es nicht falsch. Als ich hörte, wo ihr hinwolltet, da mußte ich sofort an ihn denken. An Yuisan, den Höllenboten, denn er hat das Gebiet in den Bergen vor langen, langen Jahren kontrolliert. Es war seine Heimat, die durfte man nicht zerstören.«
»Daran haben Sie sich nicht gehalten?« fragte ich Linda Brackett.
»So ist es. Ich habe versucht, die Sprengungen nicht durchführen zu lassen, sprach von einer schrecklichen Rache, aber meine Warnungen trafen auf taube Ohren. Es wurde gesprengt, und es wurde auch der Berg gesprengt, in dem Yuisan angeblich seine Fleimat haben sollte. Wir bekamen den Beweis für seine Existenz. Als der Berg in die Luft flog, da sahen wir auch ihn. Yuisan schwebte aus dem Krater wie ein gewaltiger Komet. Er war eine Flamme des Schreckens, aber auch ein Fanal der Hoffnung, und sein Anblick prägte sich so unauslöschlich in mir ein, daß ich regelrecht hin war und alle Warnungen vergaß, die mir Lai Ti Jan mit auf den Weg gegeben hatte. Ich sah nur die schreckliche Gestalt. Und während um mich herum das Inferno stattfand, konnte ich nur ihn anschauen. Den Höllenboten.«
Suko sah, wie ihre Augen glänzten und die Konzentration auf ihn nachgelassen hatte. Dann jedoch nahm der Blick einen anderen Ausdruck an. Dem Chinesen kam er deprimiert vor, und mit leiserer Stimme fuhr Linda Brackett fort.
»Ich irrte mich, irrte mich sogar sehr, denn schon nach kurzer Zeit wandelte sich meine Begeisterung in Angst und Resignation, denn ich merkte, daß die Männer mit dieser Sprengung das Grauen freigelegt hatten. Seelen sollte er saugen, so stand es in den mythologischen Schriften. Wir erlebten seine ungeheure Grausamkeit. Männer starben. Einheimische und auch Mitglieder unserer Firma. Auch ich wurde nachts von Träumen geplagt, und da ich mich schon immer für chinesische Kunst interessiert habe und auch selbst künstlerisch begabt bin sowie Kontakt zu den Museen halte, damit ich überhaupt die Ausstellung eröffnen konnte, trug ich mein Scherflein ebenfalls dazu bei. Ich setzte mich hin und malte mir meine Alpträume von der Seele. Dabei saß ich tagelang vor der Leinwand und brachte sein Bild darauf. Ich mußte ihn einfach zeichnen, um mich von dem ungeheuren Druck zu lösen, der mich so stark belastete. Das Bild wurde fertig, aber der Druck blieb. Ich bin eine Gefangene des Höllenboten und muß seinen Befehlen gehorchen, aber ich will wieder frei sein, verstehen Sie das?«
Linda Brackett schaute Suko dabei an, und der Inspektor nickte. »Ja, das verstehe ich sehr gut. Aber was hat Shao und was habe ich damit zu tun?«
»Gib du die Antwort!«
Lai Ti Jan nickte. »Die Mythologie sagt, daß sich derjenige, der sich einmal im Bann des Höllenboten befindet, aus eigener Kraft nicht mehr lösen kann. Es muß jemand her, der den Höllenboten vernichtet. Ich weiß selbst, wie schwer die Aufgabe ist, doch es gibt keinen anderen Weg. Da du, Suko, bei uns bekannt bist, und da wir wissen, daß du gegen die Mächte der Finsternis kämpfst, mußten wir zusehen, dich in unsere Gewalt oder auf unsere Seite zu bekommen, denn es geht um unser Leben und um das Leben der Menschen, die an der Sprengung teilgenommen haben.«
»Habt ihr aus diesem Grunde Shao entführt?«
»Ja, genauso ist es gewesen.«
Suko schüttelte den Kopf. »Das kann ich einfach nicht glauben«, flüsterte er. »Verdammt, das kann ich nicht. Ihr hättet doch nur etwas zu sagen brauchen.«
Da lächelte der Alte. »Hättest du uns denn geglaubt?«
»Wahrscheinlich ja.«
»Jetzt ist es zu spät. Wir haben uns für die andere Möglichkeit entschlossen. Es wird dir nichts anderes übrigbleiben, als uns zu gehorchen. Denk an Shao.«
Suko warf seiner Freundin einen langen Blick zu. »Daran denke ich immer«, erwiderte er leise. »Was habt ihr mit ihr angestellt?«
»Es ist möglich, daß sie sterben wird«, erklärte Linda Brackett.
»Allerdings langsam, etappenweise gewissermaßen, denn wir haben ihr einen Trank eingeflößt, der sie langsam dahinsiechen läßt. Nur Lai Ti Jan kennt das Gegenmittel, das sie wieder aus ihrer Lethargie reißt. Solltest du dich weigern, mit uns zusammenzuarbeiten oder es nicht schaffen,
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