Der Hof (German Edition)
aber nicht, dass ich den Tierarzt bezahle.»
Mathilde geht an ihm vorbei und schwankt unter dem leblosen Gewicht des Hunds.
«Lass mich sie tragen», sage ich.
«Ich schaffe das schon.»
Aber sie leistet keinen Widerstand. Lulu winselt, als sie von einem Arm auf den anderen wandert. Ich spüre Arnauds Blick. Plötzlich kommt mir der Gedanke, er könnte glauben, dass ich Mathilde nur wegen dem helfe, was er heute früh gesagt hat. Dass ich damit meinen Teil eines stillschweigenden Handels erfülle. Der Gedanke verärgert mich. Ich wende mich ab. Gretchen steht direkt hinter uns.
Ihr Gesicht ist von Tränen verschmiert. Sie schaut überallhin, nur nicht auf Lulu, obwohl ihre Blicke immer wieder zum Bein des Hunds wandern wollen.
Arnaud schiebt sich an mir vorbei und packt ihren Arm. «Hast du das Tor geöffnet?» Sie hat den Kopf auf die Brust gelegt. Er packt sie an den Schultern und schüttelt sie. «Antworte mir! Hast du das Tor geöffnet?»
«Nein!»
«Und wie ist der Keiler dann rausgekommen?»
«Ich weiß es nicht! Lass mich in Ruhe.»
Sie versucht, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er dreht sie um und zwingt sie so, den Hund anzusehen. «Schau! Sieh nur, was du getan hast!»
«Ich habe gar nichts getan! Lass
los
!» Sie befreit sich aus seinem Griff und rennt in den Wald. Arnaud starrt hinter ihr her, ehe er sich an uns wendet.
«Geht schon, wenn ihr unbedingt wollt!», grollt er und stapft zurück zu den Pferchen.
Ich gebe mir Mühe, den Hund nicht allzu großen Erschütterungen auszusetzen, als ich ihn zum Hof zurücktrage. Mathilde trägt meinen Gehstock hinter mir her. Mein Fuß hält sich wacker, angesichts der Umstände. Als wir zum Pritschenwagen kommen, breitet sie eine alte Decke auf dem Beifahrersitz aus. Der Spaniel zittert, aber er leckt meine Hand, als ich ihn ablege. Sein Hinterlauf sieht aus wie durch den Fleischwolf gedreht. Weiße Knochensplitter ragen aus dem blutigen Fleisch, und ausnahmsweise bin ich Arnauds Meinung. Wir verlängern nur sein Leiden. Aber es ist nicht mein Hund, und deshalb ist es auch nicht meine Entscheidung.
Mathilde schließt die Türen und geht um den Wagen herum zur Fahrerseite.
«Möchtest du, dass ich sie hinbringe?», frage ich, weil ich weiß, wie es ihr bei dem Gedanken an eine Fahrt in die Stadt geht.
«Ist schon in Ordnung.»
«Soll ich mitkommen?»
«Nein danke. Wir kommen schon klar.»
Sie ist wie eine Fremde. Ich beobachte, wie sie die Auffahrt hinunterfährt und durch die Schlaglöcher holpert. Der Pritschenwagen erreicht eine Biegung und verschwindet. Nur eine kleine Staubwolke bleibt, die sich langsam legt. Als das Motorengeräusch verklingt, könnte man fast meinen, es wäre nichts passiert.
LONDON
Jules kommt in der darauffolgenden Woche wieder in die Bar. Es ist noch früh, deshalb ist nicht viel los. Sergeis Freund Kai hat mir einen Kaffee gebracht und plaudert mit Dee über die beste Zubereitung von Reistimbalen. Ich höre nur mit einem Ohr zu und behalte den Eingang im Auge. Ich will gerade einen Schluck Kaffee trinken, als die Tür aufgeht und Lenny hereinkommt.
Ich stelle die Kaffeetasse hin. Er ist allein, aber wenn er hier auftaucht, besteht eine gute Chance, dass Jules auch auf dem Weg hierher ist. Er schaut betont desinteressiert zu mir her und lässt mich zugleich spüren, dass er weiß, wer ich bin. Er geht zu Dee. «Eine Flasche Stella Artois», sagt. Als er sein Wechselgeld entgegennimmt, sehe ich die goldene Uhr an seinem Handgelenk aufblitzen. Eine Rolex oder eine Kopie, dick und mit Edelsteinen besetzt. Er bemerkt meinen Blick.
«Was?»
«Ich bewundere nur Ihre Uhr.»
Wieder erinnere ich mich daran, wie er uns nach der Zeit gefragt hat, als Chloe und ich ihm auf der dunklen Straße begegneten. Ich erwarte nicht, dass er sich nach so langer Zeit noch daran erinnert oder eine Verbindung herstellt. Aber da habe ich ihn unterschätzt. Das stoppelbärtige Gesicht mustert mich.
«Das ist mir so was von scheißegal», sagt er. «Und wenn Sie nur einen Funken Verstand haben, ist es Ihnen auch scheißegal.» Mit einem letzten Blick in meine Richtung, als wollte er sich überzeugen, dass seine Nachricht angekommen ist, nimmt er seine Bierflasche und geht zu einem Tisch.
«Was sollte das denn gerade?», fragt Dee und kommt zu mir.
«Nur ein Insiderwitz.»
Allerdings nicht besonders lustig. Man sollte lieber keine Mühen scheuen, um Leuten wie Lenny aus dem Weg zu gehen. Ich weiß nicht mal, warum ich ihm
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