Der Hof (German Edition)
dummgekommen bin.
Danach warte ich einfach, es ist nur eine Frage der Zeit. Der Kaffee verätzt derweil meinen Magen. Eigentlich bin ich darauf vorbereitet, aber mein Herzschlag setzt kurz aus, als Jules durch die Tür kommt. Als ich das Mädchen an seiner Seite sehe, empfinde ich zuerst Erleichterung, weil es nicht Chloe ist. Dann treten sie ins Licht, und ich erkenne meinen Fehler. Sie ist es; bloß ist es nicht mehr die Chloe, die ich kannte. Ihre Haare sind frisiert und irgendwie blonder, und sie trägt ein kurzes rotes Kleid und High Heels. Als ich sie kannte, trug sie kaum Make-up. Jetzt ist sie hinter der Maske kaum wiederzuerkennen.
Sie geht ein Stück hinter Jules, als er zu Lenny geht und ihn begrüßt. Sie hat mich nicht gesehen, und an ihrem distanzierten Gesichtsausdruck erkenne ich, dass Jules ihr nicht erzählt hat, dass ich hier arbeite. Erst als Sergei mit zwei vollen Flaschen Absolut aus der Küche kommt, merke ich, dass ich sie anstarre.
«Hier, Sean. Die müssen ins Kühlfach», sagt er und drückt sie mir in die Hand. Er mustert mich. «Und um Himmels willen, lächle! Du guckst, als wolltest du jemanden umbringen.»
Ich trete zu der Tiefkühltruhe unterhalb der Bar. Aber ich öffne sie nicht, weil Jules und Chloe sich jetzt nähern. Jules blickt mich direkt an, aber Chloe hat immer noch nicht bemerkt, auf wen er sie zuführt. Als sie näher kommen, legt er den Arm um ihre Schultern. Sie blickt überrascht zu ihm auf, und das dankbare Lächeln, das kurz ihr Gesicht erhellt, bricht mir das Herz.
Dann sieht sie mich und bleibt stehen. Jules umfasst ihre Schulter mit mehr Nachdruck und schiebt sie nach vorne.
«Überraschung! Sieh nur, wer hier ist», sagt er.
Ich stelle die Flaschen ab. Chloe starrt auf den Tresen. Sie schluckt, aber kein Laut kommt über ihre Lippen. Sie hat Gewicht verloren. Sie war immer schon schlank, aber jetzt ist sie spindeldürr. Ein Blick genügt, und ich weiß Bescheid. Sie ist wieder auf Droge.
«Willst du nicht wenigstens hallo sagen?», fragt Jules und verstärkt seinen Griff. «Komm schon, sei ein braves Mädchen.»
Gehorsam hebt sie den Kopf. «Hallo, Sean.» Ihre Stimme ist eher ein Flüstern. Ihr Blick geht ins Leere, und ich überlege, ob sie wohl inzwischen mehr nimmt als Kokain.
«Hi, Chloe.»
Mein Gesicht fühlt sich an, als wäre es versteinert. Jules beobachtet uns. Ihm entgeht nichts. «Was für ein Wiedersehen, hm? Ich sag euch was, ich muss noch ein paar Sachen mit Lenny besprechen. Warum bringt ihr euch nicht auf den neuesten Stand? Ich nehme an, ihr habt euch viel zu erzählen.»
«Jules, nein. Ich …»
«Oh, und wir möchten zwei Wodka on the rocks. Bringen Sie meinen rüber, ja?»
Er zwinkert mir zu und streichelt besitzergreifend ihre Schulter, ehe er zu Lenny stolziert. Die Stille ist schrecklich. Über die Bar hinweg sehen Chloe und ich uns an.
«Wie geht es dir?», frage ich.
«Großartig. Richtig gut.» Sie nickt, als müsste sie sich selbst davon überzeugen. «Und du?»
«Weltspitze.» Es fällt mir schwer, sie anzusehen. Ich wünschte, an der Bar wäre mehr los, damit ich wenigstens bedienen könnte. «Wie geht’s mit der Malerei voran?»
Das ist eine grausame Frage. Einen winzigen Augenblick lang verspüre ich Befriedigung, weil ich den Schmerz auf ihrem Gesicht sehe. Ich hasse mich dafür.
«Ach das, ich … Also, ich helfe Jules jetzt mit seinem Geschäft. Ihm fehlen im Moment ein paar Leute, darum … Na ja, und er sagt, er will vielleicht ein paar meiner Arbeiten für sein Fitnessstudio, wenn das alles … du weißt schon …»
Ich weiß nicht, ob ich wirklich verstehe, was sie sagen will. Trotzdem nicke ich. «Das klingt gut.»
Sie lächelt noch immer, doch ihre Augen füllen sich mit Tränen. «Es ist schon in Ordnung. Mir geht’s gut, wirklich», sagt sie. «Ich wünschte nur …»
Ich erstarre, als sie anfängt zu weinen. Mein erster Impuls ist, die Hand nach ihr auszustrecken. Doch ich tue nichts.
«Chloe! Komm her.»
Die Worte kommen von Jules. Sie wischt sich mit dem Handrücken die Tränen aus dem Gesicht. Der Moment ist vorbei, in dem ich etwas hätte sagen oder tun können.
«Es tut mir leid», sagt sie und wendet das Gesicht ab, ehe sie zur Damentoilette hastet.
Ich bitte Dee, die Drinks an den Tisch zu bringen, und gehe in die Küche. Als ich wieder rauskomme, füllt sich die Bar allmählich. Eine Zeitlang bin ich angenehm beschäftigt, und als ich das nächste Mal zu dem Tisch schaue, an dem
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