Der Hof (German Edition)
keine unerklärliche Schusswunde, will ich hoffen?»
«Didier ist ein Idiot. Sobald er ein paar Bier intus hat, wird es schlimmer. Hoffentlich verwächst sich das bald.»
«Darauf würde ich mein Geld nicht verwetten.»
Das quittiert er mit einem Lächeln. «Keine Sorge, er wird in Zukunft keine Schwierigkeiten mehr machen. Ich habe ein ernstes Wort mit ihm geredet.»
Sein Gesichtsausdruck verrät, dass es kein besonders nettes Gespräch war. Ich nehme einen Schluck Bier, weil ich mich irgendwie beschäftigen will. Jean-Claude hat seinen Wein nicht angerührt. Er scheint sich ebenso unwohl in seiner Haut zu fühlen.
«Was wissen Sie über meinen Bruder?», fragt er unvermittelt.
Darum geht es also, denke ich. «Nicht viel. Sie reden eigentlich nie über ihn.»
«Aber Sie wissen, dass er Michels Vater ist? Und dass er in ein paar … Nun ja, sagen wir, er war in ein paar Geschäfte mit Arnaud verwickelt.»
«Ich habe davon gehört.»
«Dann wissen Sie auch, dass Louis vermisst wird?»
Ich wusste, es war ein Fehler mitzukommen. «Nein», sage ich.
Aus einer Lederbrieftasche zieht er ein zerknittertes Foto heraus, das er vor mir auf den Tisch legt. Neben einem grünen Pick-up steht er zusammen mit einem jüngeren Mann, der größer und nicht so massiv ist. Jean-Claudes Haare kleben an seinem Kopf, sein Kopf und sein Oberkörper sehen feucht aus. Er lächelt angestrengt, während der andere Mann lacht und ein leeres Bierglas in die Kamera hält.
«Das ist Louis. Sein Sinn für Humor ist etwas gröber als meiner.» In Jean-Claudes Stimme schwingt irgendwas zwischen Resignation und Zärtlichkeit. «Er ist vor achtzehn Monaten verschwunden. Angeblich war er geschäftlich auf dem Weg nach Lyon, er kam nie zurück. Niemand hat seither etwas von ihm gehört oder gesehen. Ich nicht und seine Freunde auch nicht. Niemand.»
Etwas an dem anderen Mann auf dem Foto bringt in mir eine Saite zum Klingen, aber ich kann dieses Gefühl nicht richtig einordnen. Dann erkenne ich es. Instinktiv schaue ich an mir herunter. Jean-Claude nickt. «Das ist ein alter Overall, den er immer bei Arnaud liegen hatte. Er sagte mal, er wolle nicht den Schweinegeruch mit nach Hause bringen.»
Unter anderen Umständen hätte ich das als Beleidigung aufgefasst. Ich schiebe das Foto wieder über den Tisch. «Warum erzählen Sie mir das alles?»
«Weil ich herausfinden will, was mit ihm passiert ist. Und ich glaube, Arnaud weiß mehr, als er zuzugeben bereit ist.»
Er verstummt, weil unser Essen serviert wird. Ich bin froh um die Unterbrechung, weil ich meine Gedanken ordnen muss. Ich stochere auf dem Teller mit Steak und Pommes herum. Unter anderen Umständen wäre mir die Abwechslung vom Schweinefleisch willkommen gewesen. Heute nicht.
«Warum glauben Sie, Arnaud könnte etwas wissen?», frage ich, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob ich die Antwort hören will.
Jean-Claude wischt das Öl von seinem Omelett mit einem Stück Brot auf. Über seinen Bruder zu sprechen, scheint seinen Appetit nicht zu beeinträchtigen. «Die Geschäftsreise hatte etwas mit einem der Pläne zu tun, die er mit Arnaud geschmiedet hat. Ich weiß nicht, worum es ging, denn Louis ließ sich nicht gern in die Karten schauen. Aber ich bin überzeugt, Arnaud und er waren in etwas verstrickt. Und Arnauds Geschichte passt einfach nicht zu seinem Verschwinden. Hat er Ihnen erzählt, dass Louis Mathilde einen Antrag gemacht hat, weil er sie geschwängert hat?»
Ich nicke. Selbst jetzt widerstrebt es mir, irgendwas davon preiszugeben.
«Ich will Mathilde wirklich nicht zu nahe treten, sie ist nämlich eine gute Frau. Aber das ist Quatsch. Ich kenne meinen Bruder, und glauben Sie mir, er ist nicht der Typ Mann, der heiratet. Das meiste, was er sonst noch rumerzählt, kann ich so hinnehmen, aber die Vorstellung, wie er auf einmal das Richtige tut und um ihre Hand anhält? Auf keinen Fall. Für Louis steht Louis an erster Stelle. Das war schon immer so. Wenn er die Stadt verlassen sollte, weil er ein Mädchen in Schwierigkeiten gebracht hat, hätte er das schon vor Jahren tun müssen.»
«Vielleicht wollte er ja den Hof», sage ich und wiederhole damit, was Arnaud gesagt hat. Zu spät fällt mir ein, dass ich eigentlich gar nichts sagen wollte.
Jean-Claude lächelt bitter. «Richtig. Der Hof ist ja eine echte Goldmine. Wissen Sie, Louis wollte nur in der Gegend rumvögeln und schnelles Geld machen. Je einfacher, desto besser. Er war nicht daran interessiert, einen
Hof
zu
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