Der Hof (German Edition)
besitzen, und schon gar nicht einen, der völlig heruntergewirtschaftet und bis unters Dach mit Hypotheken belastet ist. Wenn Arnaud nur nicht so von sich selbst überzeugt wäre, würde er erkennen, dass niemand mit einem Funken Verstand irgendwas mit diesem Stück Land zu tun haben will.»
«Und wieso hat er dann gelogen?»
«Das ist eine gute Frage, nicht wahr?» Jean-Claude zögert und nimmt einen Bissen Omelett. «Ich weiß es nicht. Arnaud hat sich diese hübsche Geschichte ausgedacht und verliert jetzt kein Wort mehr darüber.»
«Haben Sie versucht, mit ihm zu reden?»
«Natürlich habe ich das. Er ließ sich lang und breit über Louis aus und sagte, ich solle mir gefälligst keine Sorgen machen.» Seine Miene verfinstert sich. «Michel ist ebenso mein Fleisch und Blut wie seins, aber Arnaud lässt mich meinen Neffen nicht sehen. Er hat sie da draußen alle lebendig begraben. Was soll das für ein Leben sein für ein Kind? Oder für seine Töchter, wenn wir schon dabei sind. Er hat immer schon versucht, sie an der kurzen Leine zu halten. Besonders Gretchen. Nicht, dass ich es ihm verdenken könnte. Hinter ihr ist schon die Hälfte der Dorfjugend her gewesen. Manchmal denke ich …»
«Was?», hake ich nach, weil er nicht weiterspricht.
Aber er schüttelt nur den Kopf. «Ist nicht wichtig. Der Punkt ist, dass Arnaud nach Louis’ Verschwinden den Hof völlig von der Stadt abgeschottet hat. Und warum sollte er das tun, wenn er nichts zu verbergen hat?»
«Vielleicht, weil es Leute wie Didier gibt.»
«Vielleicht. Für Didiers Verhalten werde ich mich nicht entschuldigen. Arnaud aber verhält sich, als wäre er unter Belagerung. Er war immer schon extrem reizbar, aber Stacheldraht und Fallen?» Jean-Claude zeigt mit seinem Messer auf meinen Fuß. «Und bitte, beleidigen Sie unser beider Intelligenz nicht, indem Sie darauf beharren, das da wäre ein Unfall gewesen. Bisher habe ich den Gerüchten über die Fangeisen eigentlich keinen Glauben geschenkt, aber du lieber Himmel! Warum sind Sie nach dieser Geschichte überhaupt dortgeblieben?»
«Ich verstehe immer noch nicht, was Sie von mir wollen.»
«Wie ich schon sagte: Arnaud weiß mehr, als er zugibt. Sonst hätte er sich nicht diese schwachsinnige Geschichte ausgedacht. Sie leben auf seinem Land. Also können Sie sich dort umschauen und Fragen stellen. Vielleicht mal Georges auf den Zahn fühlen, ob er was weiß. Herausfinden, was Arnaud verbirgt.»
Mit anderen Worten: spionieren. Aber etwas von dem, was er gesagt hat, setzt bei mir eine beunruhigende Gedankenkette in Gang.
Er hat sie da draußen lebendig begraben.
Er spricht über Arnauds Familie, aber ich kann nur an den krümeligen Betonboden in der Scheune denken.
Ich schiebe das Bild und meinen Teller beiseite. Das Essen habe ich kaum angerührt. «Wenn Sie so sehr davon überzeugt sind, dass er lügt, könnten Sie doch auch zur Polizei gehen?»
«Glauben Sie, das hätte ich nicht längst getan? Ich war bei der örtlichen Gendarmerie und außerdem bei der Nationalpolizei in Lyon. Ich habe alles in meiner Macht Stehende getan. Ohne einen Beweis wollten sie nichts davon hören. Sie sagten, Louis sei ein erwachsener Mann und könne machen, was er will.»
Ich brauche einen Moment, ehe ich begreife, was das bedeutet. Die ländlichen Gegenden in Frankreich unterstehen der Gendarmerie. Die Nationalpolizei wird lediglich in den Städten tätig. Es kann nur einen Grund geben, weshalb Jean-Claude bei beiden sein Glück versucht hat, und ich hake nach. «Wo wurde er das letzte Mal gesehen, sagten Sie?»
Jean-Claude zögert. Er schaut auf sein Glas und dreht es in beiden Händen. «Man hat ihn an einer Tankstelle in einem Vorort von Lyon gesehen. Zwei Tage, nachdem er hier verschwand. Er wurde von einer Überwachungskamera gefilmt, als er getankt hat. Aber das beweist gar nichts.»
Er irrt sich. So wie Jean-Claude bisher geredet hat, bin ich davon ausgegangen, dass Louis es nie bis nach Lyon geschafft hat und sein Verschwinden darum in direktem Zusammenhang mit Arnaud und dem Hof stehen muss. Wenn er in einer Stadt am anderen Ende des Landes zuletzt gesehen wurde, ist das etwas völlig anderes.
Ich habe das Gefühl, ein Gewicht werde mir von den Schultern genommen.
«Haben Sie schon mal überlegt, dass die Polizei recht haben könnte? Vielleicht hatte er einen guten Grund wegzulaufen.» Die Ironie meiner Worte entgeht mir nicht. Noch während ich es sage, überkommt mich eine Welle der Scham, die
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