Der Hof (German Edition)
dem Wald kann ich den See im Mondlicht ausmachen, der silbrig in der Dunkelheit glänzt. Ich habe mir geschworen, darin zu schwimmen, bevor ich wieder abreise. Bis Mathilde kommt, habe ich noch Zeit.
Dies ist also meine letzte Chance.
Ich halte mich nicht mit dem Licht auf, als ich den Dachboden hinter mir lasse, und vertraue einfach darauf, dass ich die Holzstufen in der Dunkelheit treffe. Das Mondlicht strömt durch das offene Scheunentor und beleuchtet den bröckelnden Beton, bei dem ich so paranoid geworden bin. Ich verschwende keinen Gedanken mehr daran, als ich an der Stelle vorbei nach draußen gehe.
Der Nieselregen hat aufgehört. Die Nacht riecht unglaublich süß, eine frische Brise lässt die Weinblätter rascheln. Es ist Vollmond, aber die Wolkenfetzen, die über den Himmel hasten, werfen unruhige Schatten auf das Feld. Ein beständiges Rascheln begrüßt mich, als ich den Wald betrete. Wasser tropft von den Ästen, und die Statuen sind vom Regen dunkel und verschmelzen fast mit den Silhouetten der Bäume. Die Gänseblümchen, die Gretchen der Nymphe um den Hals gelegt hat, scheinen zu leuchten, als das Mondlicht sie berührt, aber schon bei der nächsten Wolke, die sich vor den Mond schiebt, sind sie verblasst.
Dann habe ich die Steinfiguren hinter mir gelassen und erreiche den See. Ein metallischer Geruch liegt in der Luft, und das schwarze Wasser zittert unter dem leichten Wind. Eine plötzliche Bewegung lässt mich zusammenzucken, doch es ist nur eine Ente, die ihr Gefieder aufplustert. Der Mond taucht wieder auf, und ich entdecke mehr Enten, die wie Steine am Ufer hocken. Ich laufe zu dem kleinen Kiesstrand und ziehe mich aus. Meine nackten Füße sehen irgendwie ungleich aus. Der eine ist makellos und vertraut, der andere dünn und weiß und von wütenden Striemen gezeichnet.
Das eisige Wasser raubt mir den Atem, als ich in den See wate. Reflexartig stelle ich mich auf die Zehenspitzen. Es leckt bis hinauf zu meinem Bauch, und ich gehe weiter hinein. An dieser Stelle fällt der Grund steil ab, und ich wappne mich, ehe ich mich ins Wasser werfe.
Es fühlt sich an, als würde ich mich in Eis stürzen. Die Kälte bohrt sich in meine Ohren, und das Wasser schlägt über meinem Kopf zusammen. Ich arbeite mich voran. Mit einem ungelenken Kraulen komme ich wieder nach oben und breche mitten im See durch die Wasseroberfläche. Blut strömt in meine schwerfälligen Gliedmaßen. Keuchend trete ich Wasser und schaue mich um. Mein Auftauchen hat die glatte Oberfläche zerrissen. Von hier draußen sieht alles irgendwie anders aus, ganz merkwürdig und ruhig. Das Wasser fühlt sich tief und bodenlos an. Unter mir blitzt silbrig ein Fisch auf, dessen Schuppen das Mondlicht einfangen. Ich schaue nach unten und sehe meinen Körper, so blass, als wäre er völlig blutleer.
Gott, das fühlt sich gut an. Ich schwimme wieder los und genieße diesmal ein paar gemütliche Züge. Der Felsvorsprung, auf dem ich so viele Nachmittage verbracht habe, ragt vor mir steil auf. Die ausladenden Äste der Kastanie heben sich wie Flügel von dem Himmel ab. Bei dem Anblick erst geht mir auf, dass ich zum letzten Mal hier sein werde. Sofort ist der Spaß an diesem kleinen Ausflug verflogen.
Ich wollte im See schwimmen, und das habe ich jetzt getan. Es gibt also keinen Grund, noch länger zu bleiben. Ich will mich gerade auf den Rückweg machen, da trete ich mit dem Fuß gegen etwas Hartes. Ich zucke zurück, aber dann fällt mir ein, dass es vermutlich der unter Wasser liegende Fels ist, den ich von oben gesehen habe. Vorsichtig schiebe ich den Fuß wieder vor.
Und zucke zurück.
Der Fels ist glatt. Nicht wie erwartet mit einer schleimigen Schicht aus Algen und Tang bedeckt, sondern hart und wie poliert. Ich senke erst einen Fuß und dann den zweiten, bis ich stehe. Das Wasser reicht mir bis zum Kinn. Die Oberfläche unter meinen Füßen ist flach und leicht gewölbt, und ich spüre winzige Bläschen wie von Korrosion. Aber die brauche ich gar nicht, damit ich weiß, dass ich nicht auf einem Stein stehe.
Es ist ein Autodach.
Mit den Zehen erkunde ich die Form des Dachs. Mein Fuß rutscht von der Kante, und plötzlich ist unter mir nichts als Wasser. Ich schlage wild um mich, als der See über meinem Kopf zusammenschlägt, ich keuche und schlucke Wasser, bis ich schließlich wieder auf dem Dach stehe. Wenigstens habe ich begriffen, dass es kein Auto ist. Dafür ist das Dach zu schmal und zu kurz.
Es erinnert eher an die
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