Der Hof (German Edition)
Stufe abstütze, brauche ich ihn gar nicht zu belasten.
Ich mache auf der kleinen Galerie eine Pause, auf die ich gestürzt bin, als Mathildes Vater mich die Treppe runtergestoßen hat. Die leeren Flaschen sind inzwischen wieder aufgestellt worden. Selbst bei Tageslicht ist die Scheune düster. Die Steinwände haben keine Fenster, und das einzige Licht kommt durch das große offene Tor. Die Luft ist hier unten kühler, und als ich die letzten Stufen hinter mich bringe, bemerke ich den Geruch nach schalem Wein, der sich mit dem muffigen Geruch von Stein und Holz vermischt. Irgendwann in der Vergangenheit wurde die Scheune als kleine Kelterei genutzt. Es gibt einen leeren Metallbottich, und die Pflastersteine sind verschrammt, an einer Stelle hat man sie durch Beton ersetzt. Die Betonplatte ist neu, aber sie bekommt schon erste Risse.
An einer Wand ist ein Wasserhahn. Als ich ihn aufdrehe, spritzt Wasser auf die Steine. Ich forme meine Hand zur Schale und trinke ein paar Mundvoll. Das Wasser ist so kalt, dass die Zähne davon schmerzen. Aber es schmeckt herrlich erfrischend. Ich spritze mir Wasser ins Gesicht und trete dann an das große Weinregal, das danebensteht. Es ist halbvoll mit unetikettierten Flaschen, aber ein Gutteil der Korken ist fleckig, wo der Wein durchgedrungen ist. Ich schnuppere an einem und kräusle die Nase, weil der Wein sauer riecht. Schließlich humple ich zum Scheunentor.
Sonnenlicht dringt herein. Ich bleibe einen Moment lang stehen und nehme den Anblick in mich auf. Die Welt da draußen ist in dem Scheunentor wie in einem Bilderrahmen gebannt und hebt sich strahlend von den dunklen Wänden ab. Wie eine Kinoleinwand. Ich kneife die Augen zusammen und hinke auf meine Krücke gestützt weiter. Es ist, als würde man in ein Bild in Technicolor treten. Ich atme tief durch und genieße den Duft von Wildblumen und Kräutern. Meine Beine sind noch zittrig, aber nach der stickigen Luft auf dem Dachboden ist es wunderbar, die Sonne auf dem Gesicht zu spüren. Ich achte auf meinen verletzten Fuß, als ich mich auf den staubigen Innenhof begebe, um den Anblick in mich aufzunehmen.
Direkt vor der Scheune liegt der Weinberg, den ich vom Fenster des Dachbodens aus gesehen habe. Er ist von Wald gesäumt, und in weiter Ferne kann ich das Blau des Sees ausmachen, der zwischen den Bäumen hervorblitzt. Dahinter erstreckt sich das blasse Gold der umliegenden Felder, so weit das Auge reicht. Was auch immer mit diesem Hof nicht stimmt – friedlich ist es hier jedenfalls. Die Luft ist erfüllt vom Zirpen der Grillen und dem gelegentlichen Meckern von Ziegen, die ich noch nicht entdeckt habe. Aber sonst stört nichts die Stille. Keine Autos, keine Maschinen, keine Menschen.
Ich schließe die Augen und sauge die Atmosphäre auf.
Allmählich dringt ein anderes Geräusch in mein Bewusstsein. Ein rhythmisches, metallisches Quietschen. Ich blicke auf und sehe einen alten Mann, der zwischen den Rebstockreihen auf mich zukommt. Er ist ein krummbeiniger, drahtiger alter Kerl, und das Quietschen kommt von den verzinkten Eimern, die er trägt und die leicht an den Henkeln schlenkern. Seine wenigen Haare sind fast weiß, das Gesicht ist knorrig und braun wie Eichenrinde. Er scheint kaum größer zu sein als ich, obwohl ich mich hingesetzt habe, aber etwas Sehniges, Starkes strahlt er aus, und die Unterarme unter den hochgerollten Hemdsärmeln sind muskulös und dick.
Das muss dieser Georges sein, von dem Gretchen gesprochen hat, vermute ich und nicke ihm zu. «Morgen.»
Er gibt durch nichts zu erkennen, ob er mich bemerkt. Ohne Eile geht er Richtung Scheune und direkt an mir vorbei, als existierte ich überhaupt nicht. Unsicher drehe ich den Kopf und beobachte ihn, als er im Innern verschwindet. Die Eimer klappern, als er sie absetzt, und kurz darauf höre ich das leise Dröhnen von Wasser in einem Eimer, den er am Hahn füllt. Nach ein paar Minuten verstummt das Wasserrauschen, und er taucht wieder auf. Er würdigt mich keines Blicks und geht zurück zu dem Pfad zwischen den Rebstöcken. Seine Unterarme schwellen unter dem Gewicht der Eimer an.
«Freut mich auch, Sie kennenzulernen!», rufe ich hinter ihm her.
Ich beobachte, wie er durch den Weingarten trottet und am anderen Ende im Wald verschwindet. Ich frage mich, wofür er wohl die Wassereimer von hier unten da rauf schleppt. Der Hof scheint bis auf Hühner und die Ziegen, die ich meckern höre, kein Vieh zu haben, und ebenso wenig habe ich Feldfrüchte
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