Der Hof (German Edition)
der Filmpause angehen.
«Entschuldigen Sie. Ich dachte, Sie schlafen», murmelt sie und weicht meinem Blick aus.
«Wie lange stehst du schon da?», frage ich. Sie sieht mich ausdruckslos an, und jetzt merke ich erst, dass ich sie auf Englisch angesprochen habe. Ich wiederhole die Frage auf Französisch.
«Nicht so lange.» Sie spricht sehr leise, weshalb ich nicht weiß, ob sie das wirklich gesagt hat. «Mathilde schickt Wasser, damit Sie sich waschen können.»
Gretchen hält den Kopf weiter gesenkt, als wäre es ihr peinlich, mich anzusehen. Sie ist vom Schleppen des Eimers erhitzt und verschwitzt genug, dass ihr Baumwollkleid an ihr klebt. Ihr Blick wandert zu den Ohrhörern, die um meinen Hals baumeln.
«Was hören Sie da?»
Es handelt sich um eine englische Band, die in Europa sehr bekannt ist, aber als ich ihr den Namen nenne, hat sie noch nie davon gehört. Ich halte ihr die Ohrhörer hin. «Hier. Schau mal, ob dir das gefällt.»
Ihre Miene hellt sich auf, doch dann schüttelt sie den Kopf. «Das mach ich lieber nicht. Ich soll gar nicht mit Ihnen reden.»
«Hat das dein Vater gesagt?» Ihr Gesichtsausdruck reicht mir als Antwort. «Aber du redest gerade mit mir.»
«Das ist was anderes. Mathilde hat mit Michel zu tun. Und Papa ist mit Georges unterwegs.»
Was so viel heißt wie, er weiß nicht, dass sie hier ist. Ich lasse die Ohrhörer sinken. Ich will nicht noch mehr Schwierigkeiten machen, weder ihr noch mir. «Wer ist Georges? Mathildes Mann?»
Gretchen hatte ihn schon mal erwähnt, aber meine Vermutung bringt sie zum Lachen. «Nein, Georges ist uralt! Er hilft Papa.» Immer noch lächelnd, geht ihr Blick wieder zu den Ohrhörern. «Vielleicht, wenn ich nur ganz kurz höre …»
Sie hockt sich auf den Rand der Matratze und steckt sich die Stöpsel in die Ohren. Als ich die Musik anstelle, reißt sie die Augen auf.
«Das ist laut!»
Ich drehe die Lautstärke runter, aber sie schüttelt den Kopf.
«Nein, ist schon in Ordnung! Ich mag das!»
Ich verziehe das Gesicht und lege mahnend einen Finger auf die Lippen.
«Tschul…! Tschuldigung.»
Sie lauscht mit einer kindlichen Begeisterung und nickt mit dem Kopf zu den Beats. Ihr Gesicht ist bis auf den kleinen Höcker auf der Nase makellos, aber ohne ihn wäre ihre Schönheit nichtssagend. Ich lasse die Musik laufen und spiele ihr auch den nächsten Track vor. Als der zu Ende ist, kann sie ihre Enttäuschung kaum verhehlen. Sie ist wieder verlegen, als sie die Ohrhörer herausnimmt.
«Danke schön.»
«Du kannst dir das Album überspielen, wenn du magst.»
Sie schaut in ihren Schoß. «Das kann ich nicht. Wir haben keinen Computer. Wir haben nicht mal mehr einen CD -Spieler, seit der alte kaputtgegangen ist.»
Es ist, als würden sie in einer anderen Epoche leben. Für sie scheint das kaum die richtige Art Leben zu sein. Oder für ihre Schwester. Trotzdem ist ein Teil von mir gar nicht so unglücklich über diesen Bauernhof, der von der Außenwelt abgeschnitten ist. «Und was macht ihr in eurer Freizeit?»
Sie hebt ratlos eine Schulter. «Fernsehen haben wir. Oder ich gehe mit Michel spazieren.»
«Wie alt bist du?»
«Achtzehn.»
Ich bin überrascht. Nicht weil sie nicht wie achtzehn aussieht, sondern weil etwas Unreifes an ihr ist, das vermuten lässt, sie wäre um einiges jünger. «Was ist mit Freunden?»
«Es gibt hier ein paar Jungs …» Ein Lächeln umspielt ihren Mund, und sie wickelt die Kabel von den Ohrhörern um einen Finger. Doch dann weicht das Lächeln einem Schmollen. «Aber Papa mag es nicht, wenn ich jemanden aus der Stadt treffe. Er sagt, das sind alles Idioten, und ich soll meine Zeit nicht mit ihnen verschwenden.»
Irgendwie überrascht mich das nicht. «Langweilst du dich nicht?»
«Manchmal schon. Aber der Hof gehört Papa. Wer hier lebt, muss sich seinen Regeln unterordnen. Zumindest die meiste Zeit.»
Das sagt sie mit einem gerissenen Seitenblick in meine Richtung. Ich weiß, jetzt soll ich eigentlich fragen, was sie damit meint, aber den Gefallen tue ich ihr nicht. «War er deshalb gestern Abend so wütend? Weil ihr seine Regeln gebrochen habt?»
Die hübschen Gesichtszüge verziehen sich. «Das war Mathildes Schuld. Sie hätte ihm eher von Ihnen erzählen sollen. Sie hat kein Recht, es geheim zu halten.»
«Also hast du beschlossen, es ihm zu erzählen?»
«Warum auch nicht?» Sie reckt trotzig das Kinn und sieht für einen Moment ihrem Vater beunruhigend ähnlich. «Mathilde kommandiert mich
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