Der Hof (German Edition)
mich über die Schulter hinweg an.
«Gehen Sie mir aus den Augen.»
Ich verbringe den Rest des Tages schlafend. Oder eher im Halbschlaf. Auf dem stickigen Dachboden gleite ich immer wieder zwischen Bewusstsein und Traum hin und her. Irgendwann wache ich auf und finde ein Tablett mit Essen und einen Eimer mit frischem Wasser, die jemand neben meinem Bett abgestellt hat. Mathilde, vermute ich. Denn obwohl ich gesagt habe, ich will kein Buch, liegt eine alte broschierte Ausgabe von
Madame Bovary
mit auf dem Tablett.
Eine Entschuldigung für den Zusammenstoß mit ihrem Vater vielleicht?
Der Abend vergeht in einem Gewaber aus Hitze und Schweiß. Ich liege in Boxershorts auf der Matratze und bin wie benebelt von dem würzigen Geruch auf dem Dachboden, der an eine Zigarrenkiste erinnert. Weil ich sonst nichts zu tun habe, unternehme ich einen Versuch,
Madame Bovary
zu lesen. Aber das altmodische Französisch erschließt sich mir nicht, und ich kann mich nicht konzentrieren. Die Worte verschwimmen vor meinen Augen, und das Buch rutscht mir immer wieder aus den Händen, bis ich aufgebe und es beiseitelege. Ich glaube, dass es noch zu heiß ist, um schlafen zu können, aber als ich die Augen schließe, gleite ich in einen so tiefen Schlaf, dass es sich wie Ertrinken anfühlt.
Ich wache mit einem Schrei auf, und Bilder von Blut auf einer in Dunkelheit getauchten Straße haben von meinem Verstand Besitz ergriffen. Einen Moment lang kann ich mich nicht erinnern, wo ich bin. Der Dachboden ist dunkel, aber durch das offene Fenster fällt ein gespenstisches Licht herein. Meine Hände sind heiß und klebrig, und weil der Albtraum weiter in mir nachhallt, erwarte ich, sie mit Blut befleckt zu sehen. Aber es ist nur Schweiß.
Das Leuchten des Monds ist hell genug, dass ich meine Uhr erkennen kann, ohne Licht zu machen. Es ist kurz nach Mitternacht. Zittrig greife ich nach den Zigaretten. Nur noch drei übrig – ich habe begonnen, immer nur eine halbe zu rauchen. Ich entzünde das angebrannte Ende von einer und ziehe den Rauch tief in die Lungen. Die Verzweiflung lässt sich nicht vertreiben. Nachdem ich die Zigarette bis zum Filter aufgeraucht habe, weiß ich, dass ich so schnell nicht wieder in den Schlaf finden werde.
Der Dachboden ist feuchtwarm und seltsam beengt und wird vom Mondlicht geflutet. Ein weißer Streifen Licht verläuft quer über den Fußboden und erstreckt sich bis auf den Rand der Matratze. Ich stehe auf und hüpfe den silbernen Pfad entlang zum Fenster. Die Nacht hat die Landschaft in Schwarz-Weiß getaucht. Jenseits der Schatten der Wälder funkelt der Zwilling des Monds auf dem schwarzen Spiegel des Sees. In der Luft liegt eine fast metallische Feuchtigkeit. Ich atme sie tief ein und stelle mir vor, wie ich unter die dunkle Wasseroberfläche tauche. Ich spüre die Kälte förmlich, die das Gewicht von jedem einzelnen Haar von meinem Körper löst.
Eine Eule ruft. Ich bemerke, dass ich unwillkürlich die Luft angehalten habe, und atme aus. Ich kriege nicht genug Luft. Plötzlich fühle ich mich unerträglich beengt. Ich schnappe mir die Krücke und die Laterne und gehe zur Falltür. Vorhin habe ich sie offen gelassen, und sie wirkt wie ein Loch, das ins Nichts führt. Im schwachen Licht der Laterne bewege ich mich die Stufen hinunter.
Ich denke nicht über das nach, was ich tue. Die Scheune ist in Schwärze getaucht, aber sobald ich vor das Tor trete, ist der Vollmond so hell, dass ich die Lampe nicht mehr benötige. Ich schalte sie ab und lasse sie in der Scheune stehen. Die Nachtluft streicht beruhigend über meine nackte Haut und duftet würzig nach Bäumen und Gras. Ich bin jetzt gar nicht mehr müde, sondern verspüre nur den geradezu fiebrigen Wunsch, zum See zu gelangen.
Ich folge dem Weg, den Georges am Vormittag benutzt hat, und humple an den Reihen der Rebstöcke vorbei. Das Mondlicht lässt die Blattspitzen silbrig aufleuchten, und die Unterseiten wirken fast schwarz. Diese Welt ist monochrom, es gibt nur Licht und Schatten. Ich bleibe am Waldrand stehen, um wieder zu Atem zu kommen. Die Bäume formen jenseits vom Weinberg eine Wand aus Finsternis. Die Luft ist hier kühler und dämpft jedes Geräusch. Mondlicht fällt durch die Äste und wirft wirre Muster auf den Boden. Ich zittere und frage mich, was ich hier zu suchen habe. Ich weiß, ich sollte lieber zurückgehen, aber die Verlockung durch den See ist stärker.
Mein Atem geht schwer, als ich mich durch den Wald kämpfe. Ich stapfe
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