Der Hof (German Edition)
Mathilde aufsteht. Mein Arm, der auf dem Wannenrand ruht, ist nur wenige Zentimeter von ihrem Oberschenkel entfernt. Wir sehen uns nicht an, aber ich bin plötzlich sicher, dass sie sich meiner Nähe genauso bewusst ist wie ich mir ihrer.
«Ich muss mich ums Abendessen kümmern», sagt sie, aber sie bleibt einfach stehen. Der Wasserdampf scheint uns zu umschließen und vor dem Rest des Hauses zu verbergen. Ich bräuchte nur meine Hand zu bewegen und könnte sie berühren. Mathildes Kopf ist noch immer abgewandt, aber ihre Lippen sind ganz leicht geöffnet und ihre Wangen von einer Röte überzogen, die nicht allein von der Hitze kommt. Ich hebe langsam meinen Arm, und als bestünde zwischen uns eine unsichtbare Verbindung, rührt Mathilde sich im selben Moment.
Sie macht einen Schritt beiseite.
«Ich werde den Fuß morgen frisch verbinden», sagt sie.
Ich umfasse den Badewannenrand und stemme mich im Wasser leicht hoch, als hätte ich genau das die ganze Zeit vorgehabt. «In Ordnung. Danke.»
Der Wasserdampf wirbelt auf, als die Tür geöffnet und geschlossen wird. Sie ist fort. Doch was bleibt, ist ihr Geruch. Ich lasse mich wieder in die Wanne gleiten und tauche den Kopf unter Wasser. Die Stille im Haus wird von dem Unterwasserecho von Klicken und Knacken ersetzt. Mit geschlossenen Augen stelle ich mir vor, wie Mathilde wieder reinkommt. Ich sehe sie über mir stehen.
Oder Gretchen.
Oder Arnaud.
Ruckartig komme ich wieder hoch, und Wasser schwappt über den Badewannenrand. Das Badezimmer ist bis auf meine Hirngespinste leer. Das Wasser ist also nicht das Einzige, was hier völlig überhitzt ist, denke ich.
Ich nehme das Stück Seife und beginne, mich zu waschen.
LONDON
«Wer ist Jules?»
Jez erstarrt mitten in der Bewegung und legt das Schinkensandwich zurück auf den Teller. Er wirft mir einen knappen Seitenblick zu.
«Welcher Jules?»
Wir sind in dem Café neben der Sprachenschule, die eigentlich nicht mehr ist als eine über einem Versicherungsbüro gelegene Ansammlung von Unterrichtsräumen. Das Café ist klein, stinkt nach fettigem Essen und liegt direkt an einer vielbefahrenen Hauptverkehrsstraße. Aber es ist in Ordnung, wenn man vor dem Unterricht noch ein bisschen reden will, und Jez schert sich nicht um ästhetische Ansprüche, solange die Snacks billig sind.
«Chloes Jules.»
Er tut so, als müsste er darüber erst nachdenken. «Ähm, nein … Ich glaube nicht …»
Er ist ein erbärmlicher Lügner. Insgeheim hatte ich bis jetzt immer noch gehofft, ich könnte mich irren. Diese Hoffnung stirbt gerade. «Wer ist er?»
«Woher soll ich das wissen?»
«Weil du mit Yasmin zusammenlebst und weil Yasmin Chloes beste Freundin ist.»
«Du solltest lieber Chloe fragen.»
«Chloe erzählt mir nichts. Komm schon, Jez.»
Er reibt sich den Nacken und sieht ziemlich unglücklich aus. «Yasmin hat mir das Versprechen abgenommen, dir nichts zu erzählen.»
«Ich verrate ihr schon nichts. Das ist eine Sache zwischen dir und mir.» Jez sieht nicht besonders überzeugt aus. «Bitte.»
Er seufzt. «Er ist Chloes Exfreund. Ein echtes Arschloch, aber sie hat sich vor Ewigkeiten von ihm getrennt. Das ist also längst Geschichte.»
Ich schaue auf meinen Kaffeebecher. «Ich glaube, sie trifft ihn wieder.»
Jez verzieht das Gesicht. «Scheiße. Tut mir echt leid, Mann.»
«Weiß Yasmin davon?»
«Dass Chloe sich wieder mit ihm trifft? Das bezweifle ich. Zumindest hat sie mir gegenüber nichts davon erwähnt. Und sie kann Jules auf den Tod nicht ausstehen.»
Einige Schüler aus dem Kurs, den ich gleich gebe, gehen draußen vorbei und winken uns durch das Fenster zu. Ich hebe meine Hand und bin erleichtert, weil sie nicht ins Café kommen.
«Erzähl mir, was passiert ist», sage ich.
Jez spielt unbehaglich mit seinem Becher. «Der Mann ist ein echtes Arschloch. Das Letzte, was ich von ihm gehört habe, ist, dass er drüben in den Docklands ein exklusives Fitnessstudio führt. Bezeichnet sich selbst als Unternehmer. Ein protziger Typ und knallhart, wenn du verstehst, was ich meine.»
Ich nicke. «Ich bin ihm schon mal begegnet.»
«Dann brauche ich dir ja nichts zu erzählen. Er hat Chloe damals richtig runtergezogen. Sie war für ihn eine Trophäe. Du weißt schon, sieht gut aus, ist Künstlerin … Einfach ganz anders als der Typ Frau, mit dem er sich sonst abgibt. Er hat ein paar ihrer Bilder gekauft, so haben sie sich wohl kennengelernt. Aber er war ein richtiger Kontrollfreak. So einer, dem es
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