Der Hof (German Edition)
was Besseres vorstellen, um die Langeweile zu vertreiben.»
Ich beschäftige mich mit dem Essen und tue so, als hätte ich sie nicht gehört. Heute gibt es eine dicke Scheibe Brot und eine Schüssel Cassoulet, mit weißen Bohnen und Würstchen, die fast schwarz sind und kleine weiße Fettflecken haben. Gretchen verzieht das Gesicht, als ich ein Stück davon mit der Gabel hochnehme.
«Ich verstehe nicht, wie Sie das Zeug essen können.»
«Was stimmt nicht damit?»
«Nichts
stimmt nicht damit
. Ich mag einfach keine Blutwurst.»
«Blutwurst?»
Sie grinst, als sie meinen Gesichtsausdruck sieht. «Wussten Sie das nicht?»
Nein, wusste ich nicht. Ich schaue auf das dunkle Fleisch und die weißen Stippen. Ich erinnere mich wieder an das betäubte Schwein, das an den Hinterläufen von der Decke hängt, als Georges ihm sein Messer in die Kehle rammt. Da ist wieder das Blut, das in die Metallwanne spritzt. Und dahinter lauern andere Erinnerungen, die genauso unwillkommen sind.
Ich lege die Wurst zurück auf den Teller und stelle ihn beiseite.
«Habe ich Ihnen den Appetit verdorben?», fragt Gretchen.
«Ich hab keinen Hunger.»
Ich trinke einen Schluck Wasser, um den Geschmack loszuwerden. Auf meinem Arm kitzelt mich etwas. Eine Ameise hat sich auf meiner Haut auf Entdeckungsreise begeben. Ich wische sie ab und entdecke Dutzende, die im Gras herumwimmeln und Brotkrumen in ein zwischen den Pflastersteinen gelegenes Erdloch schleppen.
Gretchen reckt den Hals, weil sie sehen will, was da meine Aufmerksamkeit fesselt. «Was ist das?»
«Nur Ameisen.»
Sie schiebt sich näher heran, um sich die Sache genauer anzusehen. Dann nimmt sie eine Handvoll Erde und beginnt, sie über die Ameisen zu streuen. Die Tiere laufen wild im Kreis, ihre Fühler wackeln in alle Richtungen, ehe sie eine neue Straße bilden, die das Hindernis umgeht.
«Tu das nicht.»
«Warum? Sind doch nur Ameisen.»
Sie verfolgt die Insekten mit der Erde. Ich wende den Kopf ab, weil ihre beiläufige Grausamkeit mich ärgert. Das ist vermutlich der Grund, dass ich nun das sage, was ich sage.
«Wer war der Geschäftspartner deines Vaters?»
Gretchen lässt weiter Erde aus ihrer Hand rinnen und auf die Ameisen fallen. «Papa hatte nie einen Geschäftspartner.»
«Er meint, da gab’s mal jemanden. Einen, der ihm mit den Statuen geholfen hat.»
«Louis hat für uns gearbeitet, er war aber nicht Papas Partner.»
Den Namen höre ich zum ersten Mal. «Okay. Aber er ist Michels Vater, oder?»
«Was hat das denn mit Ihnen zu tun?»
«Nichts. Vergiss es.»
Gretchen nimmt noch eine Handvoll Erde und lässt sie auf das Loch der Ameisenhöhle rieseln. «Das war Mathildes Schuld.»
«Was denn?»
«Alles. Sie wurde schwanger und hat einen riesigen Aufstand gemacht, und deshalb ist Louis verschwunden. Er wäre noch hier, wenn sie nicht so blöd gewesen wäre.»
«Ich dachte, du hast gesagt, er hätte euch alle im Stich gelassen?»
«Das hat er, aber seine Schuld war das nicht.» Sie zuckt mit den Schultern. Ihr Blick geht in weite Ferne. «Er hat richtig gut ausgesehen. Und man konnte mit ihm viel Spaß haben. Er hat Georges immer aufgezogen, hat ihn gefragt, ob er mit einer der Muttersauen verheiratet ist und so.»
«Klingt lustig.»
Gretchen nimmt die Bemerkung für bare Münze. «Das war er! Einmal hat er ein Ferkel aus dem Pferch geholt und es mit seinem alten Taschentuch gewindelt. Georges war richtig wütend, als er das rausfand, Louis hat das Ferkel nämlich fallen gelassen, und es hat sich dabei ein Bein gebrochen. Er wollte es eigentlich Papa beichten, aber Mathilde hat ihn überredet zu behaupten, es wäre ein Unfall gewesen. Sonst wäre Papa nur wütend geworden. Und die Sanglochons gehören Georges ohnehin nicht, also soll er nicht so einen Aufstand machen.»
«Was wurde aus dem Ferkel?»
«Georges musste es schlachten. Aber wir haben noch gutes Geld dafür gekriegt.»
Je mehr ich über diesen Louis höre, umso weniger mag ich ihn. Ich kann mir nicht vorstellen, wie Mathilde sich mit einem wie ihm abgibt, aber sobald ich das nur denke, merke ich selbst, wie albern das ist. Es ist ja nicht so, als würde ich sie wirklich kennen.
«Und wo ist Louis jetzt?»
«Ich hab Ihnen doch schon gesagt, Mathilde hat ihn fortgeschickt.»
«Aber er lebt noch in der Stadt?»
Gretchens Miene verhärtet sich. Jetzt sieht sie ganz wie die Tochter ihres Vaters aus. Sie wirft den Rest Erde einfach auf die Ameisen. «Wieso interessiert Sie das
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