Der Hof (German Edition)
glaubst, Filme gucken ist das wahre Leben! Du machst nicht mal deine eigenen Filme, du schaust dir nur die anderer Leute an! Die Filme der anderen, die Leben der anderen, mehr hast du nicht! Himmel, du schwärmst von französischen Filmen und diesem verfickten Frankreich, aber du fährst nie einfach mal dorthin! Wann bist du überhaupt das letzte Mal dort gewesen?»
Ich werfe die Plastikbox auf den Boden und springe auf. Mit zwei Schritten bin ich bei ihr, und hinter meinen Augen pocht das Blut schmerzhaft.
«Na los, komm schon!», schreit sie. «Tu doch wenigstens einmal in deinem Leben irgendwas!»
Aber ich bin schon an ihr vorbei. Ich laufe wie blind aus der Wohnung und lasse Chloes haltloses Schluchzen hinter mir zurück.
KAPITEL 12
«Mir ist langweilig.»
Gretchen wirft die Überreste der kleinen gelben Blume zur Seite, der sie nach und nach die Blütenblätter ausgerupft hat. Ich versuche, nicht zu seufzen.
«Na komm, versuch es noch mal.» Ich halte meine Gabel hoch. «Wie lautet das englische Wort hierfür?»
«Ich weiß es nicht.»
«Doch, das weißt du. Wir haben das schon mal gehabt.»
Sie schaut nicht mal auf.
«Knife.»
Ich lege die Gabel wieder auf meinen Teller. Meine Versuche, Gretchen in Englisch zu unterrichten, sind bislang erfolglos geblieben. Allerdings ist meine Begeisterung für diese Aufgabe auch nicht besonders groß. Ein Gespräch mit Arnauds jüngerer Tochter kann im besten Fall schwierig sein, und wenn ich sie zu sehr bedränge, zieht sie sich in sich zurück und schmollt. Trotzdem. Ich habe Mathilde versprochen, es zumindest zu versuchen.
Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, sie heute zu unterrichten. Ich bin in der Scheune nach unten gegangen, um mich zu waschen, bevor ich mein Mittagessen vom Haus hole. Den ganzen Morgen habe ich über das nachgedacht, was gestern im Badezimmer passiert war und ob ich mir die Spannung zwischen Mathilde und mir bloß eingebildet habe. Ich habe mich schon gefragt, ob sie heute irgendwie anders auf mich reagieren wird, aber bisher hatte ich noch keine Gelegenheit, das herauszufinden. Mein Frühstück wurde auf den Stufen zum Dachboden abgestellt, und Mathilde war auch nicht in der Küche, als ich später mein Geschirr zurückbrachte. Ich hatte gehofft, sie wenigstens zu treffen, wenn ich mein Mittagessen hole.
Aber als ich aus der Scheune komme, taucht Gretchen mit einem Teller Essen auf. Mathilde habe ihr aufgetragen, es mir zu bringen, erklärt sie mir mit einem verschlagenen Lächeln. Damit weiß ich, dass jede Hoffnung auf ein friedliches Mittagessen vergebens ist.
Sie liegt auf dem Bauch und baumelt träge mit den Beinen, während sie die nächste Blume zwischen den überwucherten Pflastersteinen pflückt. Sie trägt eine gelbe, ärmellose Bluse und die ausgewaschene, abgeschnittene Jeans. Ihre Beine sind lang und gebräunt, und die pinken Flipflops baumeln von ihren dreckigen Füßen. Ich male mit dem Finger einen Kreis in den Staub und füge von der Mitte ausgehend zwei Striche hinzu, die auf neun und zwölf Uhr zeigen.
«Welche Uhrzeit ist das?»
«Langweilig
o’clock
.»
«Du hast es ja nicht mal versucht.»
«Wieso auch? Das ist öde.»
«Versuch es doch wenigstens.» Mir wird bewusst, dass ich genauso klinge wie die Lehrer, die ich früher immer gehasst habe. Gretchen bringt wirklich meine schlimmsten Seiten zum Vorschein.
Sie wirft mir einen bockigen Blick zu. «Warum denn? Ich werde eh nie nach England fahren.»
«Vielleicht ja doch.»
«Wieso? Nehmen Sie mich etwa mit?»
Allein der Gedanke an meine Rückkehr führt dazu, dass sich in meiner Brust etwas schmerzhaft zusammenzieht. «Ich glaube, das wird deinem Vater kaum gefallen.»
Die Erwähnung von Arnaud ernüchtert sie wie immer. «Gut. Ich will auch gar nicht von hier weg.»
«Vielleicht nicht. Aber es kann nicht schaden zu lernen. Du hast doch nicht vor, dein ganzes Leben auf der Farm zu bleiben, oder?»
«Warum denn nicht?» Ihre Stimme klingt alarmiert.
«Na ja, nur so, willst du nicht irgendwann wegziehen und heiraten?»
«Woher wissen Sie, was ich will? Und wenn ich schon heirate, wird es bestimmt nicht so ein dahergelaufener Engländer sein. Wieso soll ich also überhaupt diese doofe Sprache lernen? Es gibt genug Jungs hier in der Gegend, die mich liebend gern heiraten würden.»
«Okay. Ich dachte nur, du würdest dich langweilen.»
«Tu ich ja auch.» Sie stützt sich auf einen Ellenbogen und wirft mir einen Blick zu. «Ich könnte mir aber
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