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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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überhaupt?»
    «Ich habe mich nur gefragt, ob Mathilde …»
    «Jetzt hören Sie schon mit Mathilde auf! Warum stellen Sie mir immer Fragen über sie?»
    «Ich stelle gar keine …»
    «Doch, tun Sie! Mathilde, Mathilde, Mathilde! Ich hasse sie! Sie verdirbt alles! Sie ist nur eifersüchtig auf mich, weil sie schon alt und schlaff ist, und sie weiß ganz genau, dass die Männer mich lieber wollen als sie!»
    Ich hebe die Hände und versuche, sie zu beruhigen. «Okay, komm mal runter.»
    Gretchen ist aber weit davon entfernt runterzukommen. Die Haut um ihre Nase ist jetzt weiß. «Sie wollen sie ficken, ist es das? Oder ficken Sie sie schon?»
    Die Sache gerät außer Kontrolle. Ich stehe auf.
    «Wo gehen Sie hin?»
    «Wieder an die Arbeit.»
    «Um Mathilde zu sehen, meinen Sie?» Ich antworte nicht, sondern bücke mich und will den Teller aufheben. Aber sie schlägt ihn mir aus der Hand. «Hören Sie schon auf, mich zu ignorieren! Ich sagte,
ignorieren Sie mich nicht!
»
    Sie greift nach der Gabel und holt damit aus. Ich zucke zurück, aber die Zinken bleiben an meinem Arm hängen und reißen mir die Haut auf.
    «Himmel …!» Sofort entreiße ich ihr die Gabel und werfe sie fort. Dunkles Blut quillt aus meinem Arm, und ich presse die Hand drauf und starre sie an. Gretchen blinzelt, als wäre sie gerade erst aufgewacht.
    «Es tut mir leid. Ich … ich …»
    Mein Arm beginnt zu pochen, aber ich bin eher schockiert als alles andere. «Du gehst jetzt besser.» Meine Stimme zittert.
    «Ich hab doch gesagt, dass es mir leidtut.»
    Ich traue mir nicht zu, vernünftig zu bleiben, wenn ich jetzt den Mund aufmache, also sage ich nichts. Nach kurzem Schweigen sammelt Gretchen zerknirscht den Teller und das Besteck ein. Die Haare hängen ihr dabei ins Gesicht. Ohne ein Wort nimmt sie die Sachen mit und verschwindet um die Ecke der Scheune.
    Ich bleibe, wo ich bin, und warte, bis mein Herzschlag sich normalisiert hat. Die Gabel hat vier parallele Schnitte in meinem Oberarm hinterlassen. Es blutet, aber die Schnitte sind nicht besonders tief. Ich drücke wieder meine Hand darauf. Zu meinen Füßen schwärmen die Ameisen aus und entwickeln eine geradezu wahnhafte Aktivität, um die Essensreste in Sicherheit zu bringen. Die paar, die Gretchen umgebracht hat, sind schon wieder vergessen. Das Einzige, was zählt, ist das eigene Überleben.
    Ich überlasse sie ihrem Festmahl und gehe in die Scheune, um meinen Arm zu reinigen.
     
    Der Sonnenuntergang ist spektakulär. Die Libellen, Bienen und Wespen, die im Laufe des Tages über dem See patrouillieren, haben den Schnaken und Moskitos weichen müssen. Ich sitze mit dem Rücken an die Kastanie gelehnt und blase Zigarettenrauch in die Luft. Irgendwo habe ich mal gelesen, dass Insekten Zigarettenrauch nicht mögen, aber diese hier scheinen das nicht zu wissen. Ich hab schon die ersten Stiche abbekommen, aber die werde ich wohl erst morgen früh so richtig merken. Und was morgen kommt, kümmert mich gerade überhaupt nicht.
    Ich habe Mathildes Buch mit nach draußen genommen.
Madame Bovary
liegt neben mir. Ich habe das Buch nicht mal aufgeklappt, sondern beobachte lieber, wie die letzten Sonnenstrahlen die Oberfläche des Sees in einen dunklen Spiegel verwandeln.
    Die Wunde von der Gabel ist gar nicht so schlimm. Ich habe sie unter dem Wasserhahn ausgewaschen, und das kalte Wasser hat das bisschen Blut vollständig entfernt. Es lief in rosa Bächen über die Pflastersteine und versickerte in dem breiten Riss im Beton. Noch eine Hinterlassenschaft meines Vorgängers. Ich habe Mathilde erzählt, ich hätte mir die Verletzung auf dem Gerüst zugezogen, und bat sie um ein bisschen Verbandmull und Pflaster. Ich fand es besser, mich selbst zu versorgen, statt ihr erklären zu müssen, woher diese vier Schnitte in gleichmäßigem Abstand kamen.
    Deine Schwester hat auf mich eingestochen, weil du mit Michels Vater Schluss gemacht hast. Den sie übrigens auch ein bisschen lieber hatte, als für eine kleine Schwester schicklich ist.
    Nein, das Gespräch will ich vermeiden. Wenn Gretchen aber in Louis verknallt gewesen ist, würde das einen Teil der Spannungen erklären, die zwischen Mathilde und ihr existierten. Und vielleicht war es ja mehr als ein bisschen Verknalltsein, überlege ich, weil ich mich wieder an die grobe Zeichnung erinnere, die ich in seinem Notizbuch gefunden habe. Die nackte Frau hätte jede von den beiden sein können, und Louis klingt für mich nicht nach einem Mann, der

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