Der Hof (German Edition)
herüberdringt.
Ein zweites Bersten folgt. Schreie und hysterisches Gelächter kommen hinzu, und ich renne zum Innenhof. Als ich dort ankomme, wird die Küchentür aufgestoßen, und Arnaud stürmt heraus. Er hat das Gewehr in der Hand, und ich bleibe wie erstarrt stehen, weil ich überzeugt bin, dass er auf jede Bewegung, die er in der Dunkelheit ausmachen kann, schießen wird.
«Nein, tu’s nicht!»
Mathilde kommt hinter ihm her. Er ignoriert sie und steuert den Feldweg an, der zur Straße führt. Wilde Schreie folgen dem nächsten Bersten von Glas. Erst jetzt realisiere ich, dass da Fensterscheiben zu Bruch gehen. Mathilde versucht, Arnaud zurückzuhalten, aber er schüttelt sie einfach ab, und dann sind beide außer Sichtweite. Ich eile über den Hof, als Gretchen in der Tür auftaucht. Sie hält Michel auf dem Arm, und ihr Gesicht ist bleich und verängstigt.
«Bleib hier», befehle ich ihr.
Ohne abzuwarten, ob sie gehorcht, laufe ich hinter Mathilde und Arnaud her. Ich überquere den gepflasterten Hof in einem humpelnden Hopserlauf. Die Schreie kommen aus dem dunklen Wald hinter dem Haus. Mehrere Stimmen sind zu hören, die höhnen und einander anfeuern, und jetzt kann ich zumindest verstehen, was sie sagen.
«Hier, Schweinchen! Schick uns deine Töchter raus, Arnaud!»
«Hier ist eins von deinen kleinen Schweinchen, komm und sag hallo!»
Dann folgt ein Grunzen und Quieken und schrilles Gelächter. Vor mir kann ich die dunklen Gestalten von Arnaud und Mathilde sehen, die sich von dem blassen Feldweg abheben. Mathilde hat Arnauds Arm gepackt und versucht, ihn wegzuziehen.
«Lass! Lass sie in Ruhe, dann verschwinden sie von selbst!»
«Geh zurück ins Haus!» Er stößt sie weg, und mit derselben Bewegung bringt er sein Gewehr in Anschlag und feuert. Seine Gesichtszüge werden kurz beleuchtet, als der Schuss losgeht, und das Gegröle verstummt abrupt. Fluchen und entsetzte Schreie ertönen, dicht gefolgt von Krachen im Unterholz. Arnaud zielt mit dem langen Lauf in die Schwärze des Walds und schießt wieder und wieder. Er drückt den Bolzen so schnell hintereinander, dass die Munition beim Durchladen fast auf die vorangehende Patrone trifft. Erst als der Tumult sich legt, lässt er das Gewehr beinahe widerstrebend sinken.
In der Ferne heult ein Motor auf und verschwindet schnell in der Ferne. Stille legt sich wie eine Decke über die Nacht.
Arnaud bewegt sich nicht. Mathilde steht mit dem Rücken zu ihm und hat die Hände über die Ohren gelegt. Zwei Gestalten, die in der Dunkelheit genauso wenig menschliche Züge haben wie die Bäume. Sie bleibt stocksteif stehen, als Arnaud sich endlich zum Haus umwendet. Seine Schritte knirschen auf dem Feldweg, und er geht an mir vorbei, als wäre ich gar nicht da. Ich bleibe abwartend stehen und beobachte Mathilde. Schließlich lässt sie die Arme sinken. Ich höre ein leises Schniefen. Eine Hand geht zu ihrem Gesicht und macht eine wischende Bewegung. Langsam kommt sie näher.
«Geht es dir gut?», frage ich.
Meine Stimme lässt sie zusammenzucken. Jetzt erkenne ich ihr Gesicht, das, blass und verängstigt, von den dunklen Haaren umrahmt wird. Sie nickt. Mit gesenktem Kopf geht sie an mir vorbei. So dicht, dass sie mich fast streift. Sie verschwindet um die Hausecke, und einen Augenblick später höre ich das leise Klicken, als die Küchentür ins Schloss gezogen wird.
Ich bleibe auf dem Feldweg stehen und schaue zu dem Wald, der jetzt wieder ruhig daliegt. Mein Herz rast. Langsam kehrt das Zirpen der Grillen zurück.
Von ihrem Lied begleitet, gehe ich zur Scheune.
LONDON
Das Oberlicht ist von Kondenswasser beschlagen. Regen trommelt darauf. Unsere schmutzigen Spiegelbilder liegen über uns, während wir auf dem Bett liegen. Verschwommene Doppelgänger, die im Glas gefangen sind.
Chloe ist ganz weit weg. Ich kenne ihre Stimmungen inzwischen gut genug, um sie nicht zu bedrängen und sie in Ruhe zu lassen, bis sie freiwillig wieder mit mir spricht. Sie starrt durch das Oberlicht nach draußen, und ihre blonden Haare fangen das Licht von der Muschellampe ein, die sie auf dem Flohmarkt gekauft hat. Ihre Augen sind blau. Sie blinzelt nicht. Ich habe wieder das Gefühl, ich könnte meine Hand quer durch ihr Sichtfeld wischen, ohne eine Reaktion zu bekommen. Ich will sie fragen, worüber sie nachdenkt, aber ich schweige. Ich habe Angst, sie könnte es mir erzählen.
Die Luft im Raum ist kalt und feucht auf meiner nackten Brust. Am anderen Ende der Wohnung
Weitere Kostenlose Bücher