Der Hof (German Edition)
steht eine leere Leinwand unberührt auf Chloes Staffelei. Sie ist jetzt schon seit Wochen leer. Der Geruch von Terpentin und Ölfarben, den ich lange Zeit mit dieser kleinen Wohnung verknüpft hatte, ist verflogen und kaum mehr wahrnehmbar.
Ich spüre, wie sie sich neben mir regt.
«Denkst du auch manchmal darüber nach, wie es sein wird zu sterben?», fragt sie.
Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Die Stimmung zwischen uns war ziemlich angespannt, seit ich das Kokain gefunden habe. Chloe beteuert, es sei nur ein einziges Mal passiert und werde nicht wieder vorkommen, und ich versuche, ihr zu glauben. Keiner von uns spricht über Jules. Jeder Tag ist aufs Neue ein Balanceakt, und mit jedem Tag fürchte ich, einer von uns könnte danebentreten und alles kaputtmachen.
Trotzdem habe ich bemerkt, dass sie in letzter Zeit irgendwie stiller geworden ist. Ich kann es nicht genau benennen, aber ich habe vor ein paar Tagen noch mal die Wohnung durchsucht, als sie nicht da war. Als ich nichts fand, habe ich mir eingeredet, dass ich mir das alles nur eingebildet habe. Aber es kann auch bedeuten, dass sie ein besseres Versteck gefunden hat.
«Was ist das denn für eine Frage?»
«Macht dir das Angst?»
«Himmel, Chloe …»
«Mir macht es keine Angst. Früher schon, aber jetzt nicht mehr.»
Die Muskeln in meinem Nacken verkrampfen sich schmerzhaft. Ich richte mich auf und sehe sie an. «Wohin führt diese Unterhaltung?»
Sie starrt durch das Oberlicht in den Himmel, und ihre Augen sind helle Punkte in ihrem bleichen, in Schatten getauchten Gesicht. Als ich schon denke, dass keine Antwort mehr kommt, sagt sie es.
«Ich bin schwanger.»
Zuerst weiß ich nicht, was ich empfinde. Ich habe alles Mögliche erwartet, aber nicht das hier. Doch dann wird das alles von Euphorie und Erleichterung fortgeschwemmt. Das war es also, was sie aus der Bahn geworfen hat.
«Gott, Chloe, das ist toll!», rufe ich und will die Arme um sie legen.
Aber sie liegt steif da und reagiert nicht. Noch immer starrt sie durch das Oberlicht, und jetzt sehe ich, wie das Helle, Blanke in ihren Augen über die Wimpern quillt und ihre Wangen hinabrinnt. Ich lasse sie los, weil sich in mir eine unerklärliche Kälte ausbreitet.
«Was?», frage ich, obwohl ich es bereits weiß.
Chloes Stimme ist tonlos und von den Tränen völlig unbeeinträchtigt.
«Es ist nicht von dir.»
KAPITEL 13
Die Polizei kommt am nächsten Morgen. Ich klettere vom Gerüst runter, als ich die Schritte im Innenhof höre. Ich schaue mich um und erwarte eigentlich Mathilde oder Gretchen. Der Anblick von zwei uniformierten Gendarmen lässt mich erstarren. Nur die Tatsache, dass ich einen Arm um eine Leitersprosse geschlungen habe, verhindert meinen Absturz.
Ihre weißen Hemden blenden in der Sonne, und die dunklen Gläser ihrer Sonnenbrillen lassen ihre Mienen ausdruckslos wirken, als sie mich beobachten, wie ich auf halbem Weg auf der Leiter verharre wie eine Fliege im Spinnennetz. Der Kleinere der beiden, der aussieht, als sei er der ranghöhere Beamte, spricht zuerst.
«Wo ist Arnaud?»
Die Worte dringen nicht zu mir durch. Ich starre ihn dümmlich an.
«Wir suchen nach Jacques Arnaud», wiederholt er gereizt. «Wo steckt er?»
Der größere Gendarm nimmt seine Schirmmütze ab und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Die Achseln seines Hemds haben große feuchte Flecken. Aus irgendeinem Grund ist es mir dadurch möglich, einen Satz hervorzupressen.
«Versuchen Sie’s im Haus.»
Ohne sich zu bedanken, marschieren sie zur Haustür. Jetzt merke ich, dass ich immer noch reglos auf der Leiter stehe, und zwinge mich, nach unten zu steigen. Meine Beine fühlen sich schwer an, als hätte ich vergessen, wie man sie benutzt.
Arnaud könnte auf der Jagd sein, denke ich, aber die Tür öffnet sich, bevor die Gendarmen klopfen können. Schweigend und streitlustig tritt er ihnen entgegen. Als der kleinere Gendarm fragt: «M’sieur Arnaud?», nickt er nur leicht zur Bestätigung. Der Gendarm ist gänzlich unbeeindruckt. «Bei uns liegt eine Anzeige vor. Wegen einer Schießerei gestern Nacht.»
Sein Kollege mit dem verschwitzten Hemd bemerkt, dass ich die drei beobachte. Rasch wende ich mich ab und gehe zur anderen Seite des Hauses. Sobald ich außer Sichtweite bin, sinke ich einfach zu Boden.
Sie sind nicht meinetwegen hier. Ich lasse den Kopf hängen und atme tief durch. Die Stimmen dringen immer noch vom Innenhof herüber, aber ich kann nicht verstehen, was gesagt
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