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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Beckett
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wird. Rasch ziehe ich mich an der Innenseite des Gerüsts hoch wie an einem riesigen Klettergerüst. Dabei merke ich eher beiläufig, wie es quietscht und ächzt. Sobald ich mich wieder auf die Plattform gehievt habe, krieche ich zu dem Ende, das der Küche am nächsten liegt. Die Stimmen sind jetzt gut zu verstehen.
    «… keine offizielle Anzeige erstattet», sagt Arnaud jetzt da unten. «Ich habe nur meinen Besitz verteidigt. Wenn Sie wissen, wer das war, sollten Sie lieber die Kerle einlochen und nicht mich.»
    «Wir wollen ja niemanden einsperren, wir wollen nur …»
    «Das sollten Sie aber. Jemand greift mein Haus an. Aber Sie schikanieren lieber mich. Und das nur, weil ich ein paarmal in die Luft geschossen habe, um sie zu verjagen? Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?»
    «Wir haben gehört, die Schüsse gingen nicht in die Luft.»
    «Nein? Wurde denn jemand verletzt?»
    «Nein, aber …»
    «Da haben Sie’s! Außerdem weiß ich gar nicht, woher die zu wissen glauben, worauf ich gezielt habe. Sie haben ziemlich schnell das Weite gesucht.»
    «Können wir lieber drinnen weiterreden?»
    «Ich wüsste nicht, dass es noch irgendwas zu bereden gäbe.»
    «Wir werden auch nicht allzu viel Zeit brauchen.»
    Die Stimme des Gendarms klingt eisern. Ich kann Arnauds Antwort nicht verstehen, aber ich höre Schritte, die im Innern des Hauses verschwinden. Die Tür geht zu. Ich kann nur noch an das in Plastikfolie gewickelte Päckchen in meinem Rucksack denken. Es kommt mir jetzt wahnsinnig vor, es nicht schon längst irgendwie losgeworden zu sein. Stattdessen habe ich es einfach unter ein paar alten Klamotten versteckt.
    Aber nun ist es zu spät.
    Ich merke erst jetzt, dass ich dabei bin, einen Fingernagel bis aufs Blut abzukauen, und zwinge mich, damit aufzuhören. Von dem Platz aus, wo ich jetzt kauere, kann ich jenseits der Baumwipfel den See erkennen. Ich könnte mich da unten verstecken, bis die Polizei wieder weg ist. Vielleicht kann ich sogar über den Stacheldrahtzaun klettern und durch die Getreidefelder laufen, bis ich die nächste Straße erreiche. Wenn ich Glück habe, bin ich schon Meilen entfernt, ehe überhaupt jemand mein Verschwinden bemerkt.
    Aber das ist bloß Panik. Die Gendarmen haben kein Interesse an mir. Sie sind nur gekommen, um Arnaud zu verwarnen, weil er gestern Nacht mit dem Gewehr rumgeballert hat. Wenigstens hoffe ich das. Wenn ich weglaufe, würde ich damit nur unnötig Aufmerksamkeit auf mich ziehen.
    Außerdem: Wo soll ich hin?
    Besorgt schlage ich mit der Kelle auf den Mörtel ein, der auf dem Brett eingetrocknet ist. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was ich tue, nehme ich etwas Mörtel aus dem Eimer und drücke ihn in die Wand. Dann wiederhole ich den Vorgang. Das leise Kratzen der Kelle auf dem Mauerwerk übt eine beruhigende Wirkung auf mich aus, und das Zittern meiner Hände lässt nach. Kurz darauf stehe ich auf und arbeite mechanisch weiter. Ich kratze den Mörtel mit der Kelle vom Brett und verstreiche ihn an der Wand, immer wieder und ohne nachzudenken. Mit jeder Bewegung vergesse ich Arnaud ein bisschen mehr, ich vergesse sogar die Polizei. Ich vergesse alles um mich herum.
    Ich höre nicht mal, wie die Küchentür wieder geöffnet wird.
    «Wie geht es da oben voran?»
    Ich halte inne und schaue nach unten. Der größere Gendarm steht im Hof und blickt mit zusammengekniffenen Augen zu mir hoch. Er trägt die Sonnenbrille nicht und hat Schweinsäuglein.
    «Sieht aus, als ob es ziemlich heiß ist», ruft er zu mir rauf.
    Ich tue so, als würde ich konzentriert weiterarbeiten. «Ja.»
    Er zupft das feuchte Hemd von seiner Brust. «Was für ein Scheißtag. Wir mussten den Wagen zurücklassen und von der Straße den ganzen Weg laufen. Das Tor ist abgeschlossen.»
    «Stimmt.»
    «Ich ertrag die Sonne nicht. Hab ich noch nie. Von April bis Oktober ist es einfach nur die Hölle.»
    «Ich weiß, wovon Sie sprechen.»
    «Ja, mit Ihrer Haut muss es für Sie auch ziemlich übel sein.»
    Der Mörtel rutscht von der Kelle und klatscht auf das Gerüst. Der Gendarm mustert das Haus, nimmt die Schirmmütze ab und fährt sich mit den Fingern durch die Haare, ehe er sie wieder aufsetzt. Sein dichter Schnurrbart verdeckt fast den ganzen Mund.
    «Schon lange hier?»
    «Hm, seit heute früh um neun.»
    Er lächelt. «Ich meinte nicht heute.»
    «Ach so. Ein paar Wochen.»
    Mein Brett ist leer. Der Mörtel im Eimer ist inzwischen zu sehr eingetrocknet, um damit noch arbeiten zu können,

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