Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
»Das, was Heinrich Clausen in seinem Brief an mich geschrieben hat. Sie waren erschüttert, mehr als wir uns vorstellen können, als sie erfuhren, was in den Lagern vor sich ging. Auschwitz, Bergen-Belsen - das muß sie wie ein Schlag getroffen haben. Uns kommt es heute noch unvorstellbar vor. Aber vergessen Sie nicht, daß das dreiundvierzig war. Damals herrschte eine Verschwörung des Schweigens.«
Helden berührte seinen Arm; nur ganz kurz, aber fest. »Sie nennen ihn Heinrich Clausen. Sie können nicht >Vater< sagen, oder?«
»Ich hatte einen Vater.« Noel hielt inne. Dies war nicht der Augenblick, ausführlich über Richard Holcroft zu sprechen. Er mußte sich zurückhalten. »Er ist tot. Man hat ihn vor fünf Tagen in New York umgebracht. «
»O Gott ... « Helden starrte ihn an; er konnte die Tiefe ihrer Betroffenheit spüren. »Umgebracht? Wegen Genf?« fragte sie.
»Das weiß ich nicht.«
»Aber Sie vermuten es.«
»Ja.« Seine Hände krampften sich um das Steuer, und er
schwieg. Um ihn herum begann sich ein Panzer zu bilden, und das war etwas Schreckliches.
»Es tut mir leid, Noel. Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich täte so gern irgend etwas, um Sie zu trösten, aber ich weiß nicht, was.«
Er sah sie an, ihr liebliches Gesicht und die klaren braunen Augen, in denen das Mitgefühl zu lesen stand. »Bei all den Problemen, die Sie haben, ist es schon genug, daß Sie das sagen. Sie sind nett, Helden. Mir sind noch nicht viele Menschen wie Sie begegnet. «
»Ich könnte dasselbe sagen... nett.«
»Jetzt haben wir es beide gesagt. Wie ist das jetzt mit dieser Forelle? Wenn wir schon ein paar Stunden wegfahren wollen, könnten Sie mir doch sagen, wohin es geht?«
»Nach Barbizon. Dort gibt es mitten in der Stadt ein reizendes Restaurant. Sind Sie schon einmal in Barbizon gewesen? «
»Ein paarmal«, sagte Noel, und dann fiel sein Blick plötzlich auf den kleinen rechteckigen Spiegel neben dem Fenster.
Hinter ihnen fuhr ein dunkelgrüner Fiat. Er hatte keine Ahnung, ob es derselbe Wagen war, der gestern an der Avenue George V. auf ihn gewartet hatte, aber er wollte sich darüber Klarheit verschaffen - ohne Helden zu erschrecken. Er wurde langsamer, der Fiat überholte nicht. Statt dessen reihte er sich in die rechte Fahrbahn ein und ließ einen anderen Wagen vor, so daß dieser zwischen ihnen fuhr.
»Stimmt etwas nicht?« fragte Helden.
Holcroft gab Gas. Der Wagen machte einen leichten Ruck. »Nein, schon gut. Ich hatte gestern mit dieser verdammten Kiste Ärger. Der Vergaser müßte eingestellt werden, glaube ich. Hin und wieder stockt die Benzinzufuhr; wenn man dann kräftig Gas gibt, läuft der Motor wieder rund.«
»Das klingt ja sehr fachmännisch.«
»Ich bin ein ganz guter Mechaniker. Wenn man das nicht ist, darf man in Mexiko und weiter südlich keinen Job annehmen. « Er trat aufs Gaspedal, und der Wagen schoß davon.
Jetzt konnte er den grünen Fiat im Rückspiegel sehen. Er
bog nach links, überholte den Wagen, der sich zwischen sie geschoben hatte, und reihte sich dann wieder hinter ihnen in der rechten Fahrspur ein. Die Frage war beantwortet. Man verfolgte sie.
Seine Furcht machte ihn vorsichtig. Wer auch in dem Fiat saß - es gab da eine indirekte Verbindung mit Richard Holcroft, da war er ganz sicher. Und er würde diesen Mann in eine Falle locken.
»So. Jetzt ist alles in Ordnung«, sagte er zu Helden. »Jetzt funktioniert der Vergaser wieder. Mittagessen in Barbizon klingt verflucht gut. Wollen sehen, ob ich den Weg noch kenne. «
Das tat er nicht. Absichtlich. Er nahm einige falsche Abzweigungen und tarnte seine Fehler mit viel Gelächter und behauptete, die ganze französische Provinz habe sich verändert. Mit der Zeit wurde ein albernes Spiel mit einem todernsten Ziel daraus. Er mußte das Gesicht des Mannes in dem Fiat sehen. In Paris war das Gesicht hinter einer Windschutzscheibe und einer Wolke aus Zigarettenrauch verborgen gewesen; aber er mußte es sehen, um es später auch in einer Menschenmenge wiederzuerkennen.
Aber der Fahrer des Fiat war kein Amateur. Wenn ihn Noels ziellose Manöver und sein häufiger Geschwindigkeitswechsel verwirrten, so ließ er sich davon nichts anmerken, hielt sich in diskreter Distanz hinter ihnen, ohne dabei zuzulassen, daß der Abstand knapp wurde. Auf einer schmalen Straße südlich von Corbeil-Essonnes stand ein Wagen mit einer Panne; das war ein guter Vorwand, um anzuhalten. Holcroft erkundigte sich, ob er helfen könne;
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