Der Holcroft-Vertrag - Ludlum, R: Holcroft-Vertrag
Seine Panik war jetzt vollkommen.
Und dann versagten ihm die Beine den Dienst, gerieten in dem Chaos und Schrecken der Jagd durcheinander. Er stolperte und stürzte auf die Straße, und sein Gesicht schrammte über den Asphalt, seine ausgestreckten Hände fühlten sich eisig an und brannten dann plötzlich. Er wälzte sich auf den Rücken, hob instinktiv die Füße, um den Angreifer abzuwehren - die stumme rennende Gestalt, die aus der Dunkelheit heranschoß und plötzlich über ihm war.
Alles verschwamm ineinander; nur die Umrisse von Armen und Beinen, die sich in der Finsternis abzeichneten, drangen in seine vom Schweiß verklebten Augen. Und dann preßte ihn etwas gegen den Boden. Ein ungeheures Gewicht drückte auf seinen Brustkasten. Ein Arm - wie eine schwere Eisenstange — lag quer über seiner Kehle, erstickte jeden Laut.
Das letzte, was er sah, war eine hoch erhobene Hand, eine dunkle Klaue vor dem Nachthimmel, eine gekrümmte Hand,
die einen Gegenstand hielt. Und dann war da nichts mehr. Nur ein ungeheurer Abgrund, der vom Wind erfüllt war. Er stürzte den unsichtbaren Tiefen der Finsternis entgegen.
Als erstes verspürte er die Kälte. Sie ließ ihn schaudern. Und dann die Feuchtigkeit; sie war überall. Er schlug die Augen auf und nahm verzerrte Bilder von Gras und Erde wahr. Er lag mitten in feuchtem Gras auf der kalten Erde. Er wälzte sich zur Seite und stellte dankbar fest, daß er den Nachthimmel sah; zu seiner Linken war es heller, zu seiner Rechten dunkler.
Sein Kopf tat weh. Sein Gesicht brannte; seine Hände schmerzten. Langsam richtete er sich auf und blickte sich um. Er befand sich auf einem Feld, einem langen, ebenen Streifen, einer Wiese, wie es schien, einer Viehweide vielleicht. Undeutlich konnte er die Umrisse eines Drahtzauns erkennen - Stacheldraht zwischen dicken Pfosten, die zehn oder zwanzig Meter auseinanderstanden. Es war eine Weide.
Er roch billigen Whisky oder sauer gewordenen Wein. Der widerliche Geruch stieg ihm aus seinen Kleidern in die Nase, sie waren durchtränkt davon, sein Hemd triefend naß. Seine Kleider... seine Brieftasche, sein Geld! Er erhob sich schwerfällig und überprüfte seine Taschen; seine beiden Hände brannten, als sie mit dem feuchten Stoff in Berührung kamen.
Seine Brieftasche, die mit einer Klammer zusammengehaltenen Geldscheine, seine Uhr - alles war noch da. Er war nicht beraubt worden, nur bewußtlos geschlagen und aus der Gegend weggeschafft, in der die Beaumonts lebten. Es war verrückt!
Er betastete seinen Schädel. Eine Beule hatte sich gebildet, aber die Haut war nicht aufgeplatzt. Man hatte ihn mit einem gepolsterten Totschläger oder einem Rohr niedergeschlagen. Er machte probeweise ein paar ungeschickte Schritte. Er konnte sich bewegen, und das war alles, worauf es ankam. Und er konnte jetzt deutlicher sehen; bald wäre es Morgen.
Auf der anderen Seite des Zaunes war eine leichte Erhebung auszumachen, eine Art Kamm, der nach beiden Seiten reichte, soweit sein Blick drang. Und entlang dieses Kammes sah er die Lichter der Hauptstraße. Er setzte sich über das Feld
in Bewegung auf den Zaun und den Kamm und die Straße zu. Er hoffte, daß er einen Fahrer überreden konnte, ihn mitzunehmen. Als er über den Zaun kletterte, fiel ihm plötzlich etwas ein. Er überprüfte noch einmal seine Taschen.
Die Fotografie war verschwunden!
Ein Milchwagen hielt an, und er stieg hinein und sah, wie das Lächeln des Fahrers plötzlich verflog, als der Gestank die Kabine erfüllte. Noel versuchte es auf die leichte Tour - ein harmloser Amerikaner, der in Portsmouth ins Schlepptau von ein paar britischen Matrosen geraten war -, aber der Fahrer fand daran nichts belustigend. Holcroft stieg in der ersten Ortschaft aus.
Es war ein typisch englisches Dorf, und die Tudorarchitektur des Platzes wurde durch die Vielzahl von Lieferwagen vor der einzigen Gaststätte der Ortschaft beeinträchtigt.
»Da drinnen ist ein Telefon«, sagte der Milchmann. »Und ein Klo. Würde Ihnen nicht schaden, wenn Sie sich waschen. «
Noel trat in die Gaststube voller Lastwagenfahrer, und der Geruch von heißem Kaffee munterte ihn auf. Die Welt ging weiter; Waren wurden ausgeliefert und die kleinen Bequemlichkeiten eines Lokals so früh am Morgen als selbstverständlich empfunden. Er fand den Waschraum und gab sich Mühe, die Spuren der Nacht zu verwischen. Dann setzte er sich in eine Nische neben dem Telefonautomaten an der Wand und trank schwarzen Kaffee, während er
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