Der Hollywood-Mord
und ihre Telefonnummer bereits in Schultz und Simons Berichten stand.
»Nun, so ist eben das Leben«, sagte Tiffany Charles, während Martin Welborn sich in dem ziemlich schlichten Büro umschaute mit all den Fotos früherer und heutiger St. Claires, jeder ein großer oder kleiner Studioboß zu seiner Zeit.
Tiffany Charles nahm ein mit Edelsteinen besetztes Pillendöschen aus ihrer Schreibtischschublade, griff schnell nach zwei Librium, spülte sie mit Wasser hinunter und sagte: »Noch trauriger könnte ich höchstens sein, wenn sie einem den Abdruck des Lieblingsschauspielers aus dem Bürgersteig am Hollywood-Boulevard sprengen würden.«
Der Gedanke daran ließ sie erschauern, bis sie sich dann sehr anschaulich zwei kräftige, schwitzende Bauarbeiter vorstellte, die ihre Preßlufthammer sehr sexy in den Steinboden trieben, und sie erholte sich wieder. Dann fiel ihr auf, wie sinnlich Martin Welborns große, traurige Augen wurden, wenn er einen direkt anschaute. Er war nicht mal sehr alt, etwa im Alter von Tiffany Charles' Vater, was sie von vornherein schon mal antörnte. Und er war ein gutaussehender, kräftiger Bursche mit einem gut gebauten Körper. Sie überlegte, was er wohl für einen Hintern hatte. Auf Tiffany Charles fielen vor allem jung aussehende ältere Männer wie dieser herein, oder aber auch massige schwitzende Brutalinskis, die gleich über sie herfielen und nicht lange drumherum redeten. Und dabei fiel ihr ein: »Wo sind eigentlich diese anderen beiden Detectives geblieben? Sie wissen doch, diese großen, riesigen Kollegen? Die wurden doch wohl nicht erschossen oder so was Ähnliches, oder?«
»Detectives werden nur im Kino erschossen«, sagte Martin Welborn, und sein jungenhaftes Lächeln brachte Tiffany Charles' Gedanken schnell weg von den großen, schwitzigen Tieren.
»Wer hat Ihre Zähne gemacht?« fragte sie. »Die sind prächtig.«
»Gott«, sagte Martin Welborn.
»Sie meinen, die sind nicht überkront?«
»Keineswegs.«
»Wow!« sagte Tiffany Charles und brach damit Al Mackeys Herz.
»Zurück zum verstorbenen Mister St. Claire«, sagte Al Mackey, jetzt schon wieder sehr geschäftlich.
»Aber natürlich«, sagte Tiffany Charles beinahe philosophisch, »wir können ja schließlich nicht in der Vergangenheit leben, oder? Mister St. Claire hätte das nicht gewollt. Er sagte immer, du bist nur so heiß wie dein letzter Fick.«
Und damit wurde Nigel St. Claires Name in diesen Büros wohl zum allerletzten Mal erwähnt.
Als sie zum eigentlichen Büro des Nigel-St.-Claire-Nachfolgers vorgelassen wurden, diktierte Herman St. Claire III, ein fünfundzwanzigjähriger UCLA-Filmakademie-Absolvent mit viel Phantasie, seiner Stenotypistin Gilda Latour gerade einen Brief. Mach dich statt auf Diktate lieber auf jede Menge Ficktate gefaßt, hatte man ihr geraten, der da ist eben viel jünger als sein Onkel Nigel.
Aber sie kleideten sich sehr ähnlich. Tatsächlich bevorzugte Herman St. Claire in etwa den Stil von Martin Welborn. Er sah aus wie ein Börsenmakler aus Pasadena. Und er war gebräunt, aber nicht von so einer künstlichen Studiosonne. Seine Bräune hatte auch nicht die für alle Welt typische kalifornische Tönung, aber jedenfalls war er brauner, als George Hamilton immer zu sein glaubte. Und er war auch brauner als das Braun, das einem ein Reflektor verschafft, wenn man ihn sich sechs Stunden pro Tag am Swimmingpool hoch oben auf den Trousdale Besitzungen unters Kinn hält, dem einzigen Ort in ganz Beverly Hills, wo man wirklich echt braun werden konnte. In den Tagen des Stummfilms hatten die wahrhaft Erfolgreichen einst geplant, eine große Mauer um Beverly Hills zu ziehen, aber der Rest der Bürger hatte sich erfolgreich dagegen gewehrt. Heute hatte Beverly Hills mehr Verkehrsprobleme als die Innenstadt von Los Angeles, und man konnte dem Smog nur in den Höhen der Bergspitzen entkommen, denn der Smog blockierte die Lungen, brannte in den Augen und erzwang den Abbruch von mehr Tennisspielen als die üblichen tausend Telefonanrufe von Theateragenten. Und jetzt war die Idee von der Großen Mauer von damals plötzlich gar nicht mehr so hirnverbrannt. Warum weigerten sich die sogenannten Stadtväter eigentlich immer, die wahrhaft Erfolgreichen des Busineß anzuhören, bis es dann zu spät war? Wie oft hatten die wahrhaft Erfolgreichen sie gewarnt: Vietnam. Three Mile Island. Und Ronald Reagan? Mein Gott, der kam nicht mal ins Brown Derby, als dort noch echte Stars ein und aus gingen.
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