Der Horizont: Roman (German Edition)
dem Unterschied, dass sie nicht bei ihnen im Haus schlafen müsse.
An jenem Abend hatte er vorgeschlagen, ihr sein Zimmer zu zeigen, im hintersten Winkel des vierzehnten Arrondissements, Rue de l’Aude. Sie hatten nicht die Metro genommen. Sie gingen eine von christlichen Hospizen und Klöstern gesäumte Straße entlang, in der Nähe des Observatoriums, wo sich Bosmans in Stille und Halbdunkel Gelehrte vorstellte, die mit dem Teleskop Sterne beobachteten. Vielleicht war dieser Professor Ferne unter ihnen. In welchem Fach mochte er Professor sein? Margaret wusste es nicht. Ihr war in der Wohnung eine große Bibliothek aufgefallen, mit einer Leiter aus hellem Holz für die obersten Regalfächer. Alle Bücher waren gebunden und wirkten sehr alt.
An dem Tag, als sie erfahren hatte, dass sie sich bei Professor Ferne vorstellen sollte, hatte Bosmans sie früher als sonst von ihrem Büro abgeholt. Sie musste in der Stellenvermittlungsagentur Stewart vorbeischauen, Faubourg Saint-Honoré, um die Adresse des Professors zu bekommen sowie Tag und Uhrzeit der Verabredung zu erfahren.
Sie waren von einem blonden Mann mit kleinen blauen Augen empfangen worden, bei dem sich Bosmans gefragt hatte, ob er Monsieur Stewart höchstpersönlich sei. Dieser war offenbar nicht erstaunt über Bosmans’ Anwesenheit und hatte sie beide aufgefordert, in den Ledersesseln vor seinem Schreibtisch Platz zu nehmen.
»Wir haben endlich Arbeit für Sie gefunden«, hatte er zu Margaret gesagt. »Es wurde aber auch Zeit …«
Und Bosmans hatte verstanden, dass sie sich lange vor ihrer Tätigkeit bei Richelieu Interim in der Agentur Stewart eingeschrieben hatte.
»Es ist schade«, hatte der Blonde bemerkt, »dass Sie kein Zeugnis von Monsieur Bagherian vorlegen können, bei dem Sie in der Schweiz beschäftigt waren.«
»Ich habe seine Adresse nicht mehr«, hatte Margaret gesagt.
Aus einem Ordner holte er ein Karteiblatt, das er vor sich hinlegte. Bosmans entdeckte ein Passbild am oberen Rand. Vom Schreibtisch nahm der Blonde ein Blatt Papier mit Briefkopf der Agentur Stewart. Darauf übertrug er die Angaben, die in der Karteikarte standen. Er runzelte die Stirn und hob den Kopf:
»Geboren sind Sie doch in Berlin-Reinickendorf?«
Er hatte bei den Silben des letzten Worts gezögert. Sie war leicht rot geworden.
»Ja.«
»Sind Sie gebürtige Deutsche?«
Ständig kam dieselbe Frage. Sie schwieg. Schließlich antwortete sie mit klarer Stimme:
»Eigentlich nicht.«
Immer noch übertrug er beflissen das Karteiblatt. Man hätte meinen können, er schreibe eine Klassenarbeit. Bosmans hatte mit Margaret einen Blick gewechselt. Der Blonde faltete das Blatt und steckte es in einen Umschlag, der ebenfalls den Briefkopf der Agentur trug.
»Bitte geben Sie das Professor Ferne.«
Er reichte Margaret den Umschlag.
»Ich denke, Sie bekommen keine allzu schwere Arbeit. Es sind zwei Kinder so um die zwölf.«
Seine kleinen blauen Augen richteten sich auf Bosmans.
»Und Sie? Suchen Sie Arbeit?«
Bosmans konnte sich nicht erklären, warum er mit Ja geantwortet hatte. Er, der manchmal so aufbrausend sein konnte, vermied es häufig, einem Gegenüber zu widersprechen, und wagte nicht, sogar die ausgefallensten Vorschläge abzulehnen.
»Wenn Sie Arbeit suchen, können wir Sie in der Agentur Stewart einschreiben.«
In solchen Augenblicken verbarg er seine Unsicherheit stets hinter einem Lächeln, und der Blonde glaubte wahrscheinlich, dieses Lächeln sei ein Zeichen der Zustimmung. Er nahm eine Karteikarte von seinem Schreibtisch.
»Name und Vorname?«
»Jean Bosmans.«
»Haben Sie studiert?«
Als er ihm antwortete, dass er keinen anderen Abschluss habe als das Abitur, spürte Bosmans plötzlich Überdruss in sich aufsteigen und wollte das Gespräch beenden, doch er fürchtete, Margarets Zukunft zu schaden und den Blonden zu kränken.
Dieser fragte ihn nach Geburtsdatum, Geburtsort und Adresse. Völlig überrumpelt, nannte Bosmans sein richtiges Geburtsdatum und seine Adresse in der Rue de l’Aude Nr. 28.
»Würden Sie bitte hier unterschreiben?«
Er deutete unten auf die Karteikarte und reichte ihm seinen Füller. Bosmans unterschrieb.
»Ich brauche auch noch ein Passbild. Schicken Sie es mir per Post.«
Margaret schien sich über so viel Gefügigkeit zu wundern. Nachdem er unterschrieben hatte, sagte Bosmans zu dem Blonden:
»Wissen Sie, vielleicht brauche ich so schnell gar keine Arbeit.«
»Es gibt viele gute Gelegenheiten«, sagte der
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