Der Horizont: Roman (German Edition)
Blonde, als habe er nichts gehört. »Bevor Sie etwas Festes bekommen, können wir schon mal die eine oder andere Aushilfsstelle für Sie finden.«
Schweigen. Der Blonde stand auf.
»Ich wünsche Ihnen alles Gute«, sagte er zu Margaret.
Er begleitete die beiden bis zur Bürotür.
Er drückte Bosmans die Hand.
»Wir melden uns bei Ihnen.«
Draußen fragte sie, warum er zugelassen habe, dass der Kerl eine Karteikarte für ihn ausfüllte. Bosmans zuckte die Schultern.
Wie viele Karteikarten, Fragebögen, Anmeldeformulare hatte er in seiner gedrängten Schrift ausgefüllt, um jemandem eine Freude zu machen, seine Ruhe zu bekommen oder sogar aus Gleichgültigkeit, einfach so …
Die einzige Unterschrift, an der ihm etwas gelegen hatte, war die auf seiner Anmeldung an der medizinischen Fakultät gewesen, mit achtzehn, aber sie hatten ihn nicht gewollt, weil er kein naturwissenschaftliches Abitur vorweisen konnte.
Am Tag nach dem Besuch hatte er ein Passbild von sich an die Agentur Stewart geschickt. Er hatte zu Margaret gesagt, das sei klüger so und man dürfe kein Aufsehen erregen …
Gab es die Agentur Stewart immer noch? Er überlegte, ob er vor Ort nachschauen sollte. Falls die Agentur in denselben Büros war, könnte er im Archiv nach seiner und Margarets Karteikarte suchen, mit ihren damaligen Photos. Und vielleicht würde ihn derselbe Blonde mit den kleinen blauen Augen empfangen. Und alles würde von vorne beginnen.
In jener Zeit kamen nicht viele Leute in die Buchhandlung. Bosmans versuchte sich an die Räumlichkeiten zu erinnern. Die eigentliche Buchhandlung, mit ihrem Tisch aus dunklem Holz. Die Tür ganz hinten, die zu einer Art Schuppen mit Glasdach führte, ein Lager, vollgestopft mit Büchern. An einer der Wände ein altes Reklameschild, auf dem castrol stand. Ganz am Ende die eiserne Schiebetür, die auf eine andere Straße ging. Bosmans hatte daraus geschlossen, dass es sich um eine frühere Autowerkstatt handeln musste. Außerdem hatte er eines Nachmittags, als er im Archiv stöberte, den ursprünglichen Mietvertrag gefunden. Ja, es stimmte: die Buchhandlung und die Éditions du Sablier waren Nachfolger der Garage de l’Angle.
Eine breite Treppe mit Eisengeländer führte zu der Buchhandlung im Halbgeschoss, wo sich einst die Verlagsräume befunden hatten. An der Tür rechts ein Messingschild mit dem eingravierten Namen des Verlegers: »Lucien Hornbacher«. Ein Flur. Dann ein ziemlich dunkler Salon, den Bosmans das Raucherzimmer nannte. Ein Kanapee und dunkle Ledersessel. Aschenbecher auf Dreifüßen. Am Boden lag ein Perserteppich. Und ringsherum standen verglaste Bücherschränke. Sie enthielten alle von den Éditions du Sablier während ihres zwanzigjährigen Bestehens publizierten Werke.
Er verbrachte oft den frühen Nachmittag in Lucien Hornbachers ehemaligem Büro. Vom Fenster aus sah man, durch die Schneise der Avenue Reille, die vordersten Bäume des Parc Montsouris. Er ließ die Tür offen, um das schwache Klingeln zu hören, das stets die Ankunft eines Kunden im Erdgeschoss vermeldete. Der Schreibtisch war klein, aber wuchtig, mit vielen Schubladen auf jeder Seite. Der Drehstuhl war seit der Zeit von Lucien Hornbacher nicht ausgetauscht worden. Ein Diwan an der Wand, dem Fenster gegenüber, bezogen mit nachtblauem Samt. In der Mitte des Büros eine Sanduhr, das Wahrzeichen des Verlags. Bosmans hatte auf ihr den Stempel eines namhaften Juweliers gesehen und sich gewundert, dass sie nach all der Zeit nicht gestohlen worden war. Er hatte das Gefühl, der Hüter eines verlassenen Ortes zu sein. Lucien Hornbacher war während des Krieges verschwunden, und auch zwanzig Jahre danach sprach Bourlagoff, der Buchhalter und Geschäftsführer, der regelmäßig in die Buchhandlung kam, immer nur andeutungsweise über dieses Verschwinden. Er war ein Mann so um die Fünfzig, mit graumeliertem Haar im Bürstenschnitt und sonnengebräuntem Teint. Er hatte in seiner Jugend für Hornbacher gearbeitet. Wie lange würde die Buchhandlung noch bestehen können? Wenn er Bourlagoff Fragen über die ungewisse Zukunft der ehemaligen Éditions du Sablier stellte, erhielt Bosmans nie eindeutige Antworten.
Die einst von Lucien Hornbacher publizierten Bücher füllten die Regale der Buchhandlung im Erdgeschoss. Ein Großteil handelte von Okkultismus, östlichen Religionen und Astronomie. Der Katalog enthielt auch wissenschaftliche Arbeiten zu verschiedenen Themen. In seinen Anfängen hatte Hornbacher
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