Der Horizont: Roman (German Edition)
offensichtlich miteinander verband, war ein großes intellektuelles Einverständnis, eine Kameradschaft zwischen ehemaligen Studenten, bis hinein in ihre ironische Art, einander zu siezen.
Eines Nachts, als sie das Haus verließen, machte Bosmans in der Stille des Parks am Observatorium eine Bemerkung, die bei Margaret Gekicher auslöste wegen des ernsten Tons, den er angeschlagen hatte:
»Die Dummheit ist nicht ihre Stärke.«
Er hatte ihr nahegelegt zu sagen, sie seien Bruder und Schwester. Seiner Meinung nach verachteten Ferne und seine Frau Gefühlsbindungen, sofern diese nicht zu einem ständigen Gedankenaustausch zwischen zwei Personen unterschiedlichen Geschlechts führten. Doch er empfand große Achtung und verband mit ihnen Worte wie: Gerechtigkeit. Recht. Geradheit. Eines Abends, als Margaret die Kinder zu Bett gebracht und ihnen ausnahmsweise, unter Bosmans’ Einfluss, zwei zusätzliche Lesestunden gewährt hatte, saßen sie wie gewöhnlich im Salon.
»Wir sollten sie bitten, uns zu helfen«, sagte Bosmans.
Sie war nachdenklich. Sie nickte.
»Ja … das wäre gut …«
»Nicht gerade helfen«, hatte Bosmans gesagt. »Vielmehr beschützen, wo sie doch Anwälte sind …«
Einmal hatte er Margaret ins Kinderzimmer begleitet, und sie hatten die beiden auf ihren nebeneinanderstehenden Betten zurückgelassen, ein jedes mit seinem Schulbuch. Dann waren sie durch die Wohnung gestreift. Die Bibliothek füllte einen kleinen Raum und war dem Recht und den Naturwissenschaften gewidmet. In den Regalen auch Platten mit klassischer Musik. Ein Diwan und ein Plattenspieler in der linken Zimmerecke. Der Herr Professor und die Frau Anwältin setzten sich wahrscheinlich auf diesen Diwan, Seite an Seite, um in ihrer freien Zeit Musik zu hören. Ihr Schlafzimmer lag neben der Bibliothek, doch sie wagten nicht hineinzugehen. Durch die halboffene Tür sahen sie zwei nebeneinanderstehende Betten, wie im Kinderzimmer. Sie kehrten zurück in den Salon. An jenem Abend fühlte Bosmans, wie sehr sie sich selbst überlassen waren. Was für ein Gegensatz zwischen Professor Ferne und seiner Frau, ihren Kindern, dieser ruhigen Wohnung und dem, was sie beide, Margaret und ihn, draußen erwartete, und den Begegnungen, die ihnen drohten … Ein ganz ähnliches Gefühl von Sicherheit und Atempause hatte er nachmittags in Lucien Hornbachers ehemaligem Büro, wenn er auf dem Diwan aus nachtblauem Samt lag und im Katalog der Éditions du Sablier blätterte oder in seinem Heft zu schreiben versuchte. Er musste sich aufraffen und mit dem Professor und seiner Frau reden und sie um Rat oder sogar um moralische Unterstützung bitten. Wie sollte er ihnen die Rothaarige und den aus der Kutte gesprungenen Pfarrer beschreiben? Vorausgesetzt, er fände die Worte, die Fernes würden nicht verstehen, dass solche Gestalten existierten, und sie würden ihn betreten ansehen. Und weiß Gott, wer dieser Boyaval war, über den Margaret nicht einmal ihm Genaueres zu erzählen wagte … Sie beide hatten wirklich keinen Halt im Leben. Keine Familie. Keine Zuflucht. Hergelaufene. Manchmal verursachte ihm das leichten Schwindel.
E ines Nachts hatten der Professor und seine Frau bei ihrer Heimkehr zugänglicher gewirkt als sonst. Als sie in den Salon getreten waren, hatten sie Margaret und ihm ein paar freundliche Worte gesagt.
»Nicht allzu müde?« hatte Professor Ferne mit seiner sanften Stimme gefragt.
Bosmans glaubte Wohlwollen in dem Blick zu erkennen, den seine Frau ihnen schenkte.
»Nein, nein … es ist alles in Ordnung«, hatte Margaret mit strahlendem Lächeln versichert.
Der Professor hatte sich an Bosmans gewandt.
»Studieren Sie?«
Bosmans blieb stumm, wie versteinert vor Schüchternheit. Er hatte Angst, eine Antwort zu geben, für die er sich, kaum hätte er sie ausgesprochen, schämen würde.
»Ich arbeite in einem Verlag.«
»Ach ja? In welchem?«
Bosmans hatte den Eindruck, der Professor und seine Frau bekundeten ihnen gegenüber höfliche Aufmerksamkeit. Sie standen Margaret und ihm gegenüber, als wollten sie den Salon gleich wieder verlassen.
»Éditions du Sablier.«
»Diesen Verlag kenne ich nicht«, sagte die Anwältin in der schroffen Art, die Bosmans schon früher an ihr wahrgenommen hatte.
»Eigentlich kümmere ich mich eher um die Buchhandlung …«
Doch er spürte sogleich, diese Auskunft war überflüssig. Die Aufmerksamkeit von Professor Ferne und seiner Frau ließ bereits nach. Solche Einzelheiten
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