Der Hort der Waechter
ersten Mal, seit er mit ihr die Visionen der Para-Träumer »betreten« hatte, widmete er seine Aufmerksamkeit Morphea.
»Zu spät. Viel zu spät ...«
Ihre Worte erreichten ihn, eingewoben in ein irrsinniges Kichern. Wahnsinn lachte hinter ihren gläsernen Zügen. Ihre Miene selbst indes verzerrte sich, wurde erst zu einem Spiegel all des Grauens, das um sie her war, und dann eine Maske des Hasses, wie er Salvat nie zuvor entgegengeschlagen war. Obwohl es, weiß Gott, genug Menschen gegeben hatte und gab, die ihn gehaßt hatten und haßten .
Morphea, das zarte, so zerbrechlich wirkende Mädchen, verwandelte sich in eine Furie. Geifernd und brüllend vor Haß und Zorn warf sie sich Salvat entgegen. Alles, was er ihr angetan hatte, verlieh ihr Kraft und Macht.
Hastig, als könnte er das Unausweichliche damit verhindern, wich Salvat zurück, ließ Morphea ins Leere laufen. Doch es war nur ein unbedeutender Aufschub, der nichts anderes bewirkte, als ihre Qual zu verlängern. Und eine Sekunde im Griff des Wahnsinns mußte ihr wie eine Ewigkeit erscheinen.
Salvat blieb nur eines, um sich ihrer zu erwehren - und um ihr zu helfen: Er mußte es beenden .
Mit beiden Fäusten diesmal riß er das mächtige Schwert empor. Augenblicklich leckten Feuerzungen daran entlang, zeichneten die bizarre Form der Klinge nach. Hoch schwang Salvat die Waffe über den Kopf, und fauchend fuhr sie nieder, als sich Morphea von neuem auf ihn stürzte.
Im allerletzten Moment versuchte Salvat sich die Illusion zu verschaffen, es wäre sie, die er da erschlug - sie, die Mörderin seines Sohnes. Aber das machte die Tat nicht leichter. Denn es war Mor-pheas brechender Blick, der sich tief in seine Seele fraß, um sich bis ans Ende aller Zeit dort festzusetzen.
Dann zersplitterte ihr Körper. Wie Glas, aus dem er bestanden zu haben schien. Myriaden glitzernder Splitter stoben in alle Richtungen.
Der Anblick erinnerte Salvat an den, der sich ihm in der Kammer der Schläfer geboten hatte, als Morphea noch dort geträumt hatte. Nur war das Glimmen, das sie im Sterben auslöste, ungleich stärker. Das grell weiße Flimmern wehte über die ganze Traumwelt, senkte sich und vernichtete, was es berührte.
So brachte Morpheas Tod nicht nur ihr selbst Erlösung. Er bereitete auch den Qualen derer ein Ende, in deren Visionen sie und Salvat eingedrungen waren.
Salvat wußte nicht, ob es vonnöten war. Aber es zu tun, gewissermaßen sein Scherflein zur Erlösung der Para-Träumer beizutragen, mochte ihm Erleichterung verschaffen. Als könnte er damit wenigstens einen kleinen Teil seiner Schuld an all dem Leid abtragen, das er über so viele gebracht hatte.
Er streifte die Kutte ab - und entfachte einen Sturm, der Morpheas Traumkräfte selbst in die verborgensten Winkel der Visionen trug.
Diese Welt, die nur eine mögliche gewesen war, verging. Salvat stürzte zurück in jene, deren Wächter er war und die doch bald schon das Abbild jener sein konnte, aus der er zurückkehrte - am Ende seiner Kraft und einen Anblick bietend, der niemanden zu der Vermutung verleitet hätte, daß ihm hier ein Weltenretter zu Füßen la g ...
Auch Lilith Eden kam nicht auf diesen Gedanken.
Nicht einmal im Traum .
*
Wie von einem unsichtbaren Berg aus konnte Lilith Eden zu dem verkrümmt auf dem Rücken liegenden Mann hinabschauen, während dieser Berg unter ihren Füßen zu wachsen schien, rasend schnell. Immer höher trug er sie hinauf in finstere Leere, so daß der Mann immer kleiner wurde und schließlich vollends ihren Blicken entschwand.
Um sie her war - nichts mehr. Die fremde Welt, deren Antlitz sich mit jedem Blick verändert hatte und doch immer grauenhaft geblieben war, war vergangen. In einem Sturm, der mit keinem vergleichbar war, den sie bislang erlebt hatte - in der Wirklichkeit. Ihm hatte die Macht eines zürnenden Gottes innegewohnt, und diese Kraft hatte genügt, eine Welt nicht einfach nur zu verheeren, sondern auszulöschen.
Der Mann, dem Lilith in dieser Welt begegnet war und der sie mit einem flammenden Schwert hatte erschlagen wollen, ehe irgend etwas ihn davon abgehalten hatte, stand zweifelsfrei mit jenem Sturm in Zusammenhang. Er selbst schien ihn entfacht zu haben, als er ... mit ...
Lilith suchte in ihren Gedanken nach dem zugehörigen Bild, doch sie fand es nicht. Es war verschwunden, als hätte der Sturm es mit allem anderen ringsum ausgelöscht. Oder als wollte etwas oder jemand nicht, daß sie sich daran erinnerte .
Trotz all des
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