Der Hügel des Windes
Perlhyazinthe, die bei uns cipulluzza heißt, Disteln, Spargel, der allerorten reichlich spross, außerdem Portulak, wilden Mangold, Borretsch sowie die zarten Spitzen der Brennnessel und der himmelblauen Ochsenzunge. Von den Pflanzen, die man trocknen konnte, pflückte er mir kleine Sträuße und sagte: »Die sind für deine Frau, da wird sie sich freuen.«
Mein Vater vergötterte Simona, die einzige Person, mit der er noch nie gestritten hatte, und er bewies es ihr mit diesen kleinen Gaben oder indem er sich auf ihre Seite schlug, wenn zwischen uns hitzige Diskussionen entbrannten. Und vor kurzem hatte er sie mir gegenüber mit einem Kompliment bedacht, das in seiner Denkart das absolut größte war: »Deine Frau hat Eier wie ein Mann, genau wie deine Mutter.« Den Umstand, dass ich aus Liebe zu Simona nun im Trentin lebte, legte er als Schwäche meinerseits aus, sie hatte nichts damit zu tun, es war meine Schuld, dass ich sie nicht zu einem Umzug nach Kalabrien hatte bewegen können. Vielleicht hielt er mich für zu nachgiebig und fügsam, um mich wirklich zu schätzen, in manchen Situationen ihm selbst zu ähnlich. Oder er konnte sie mir einfach nicht zeigen, seine Wertschätzung, ewig gefangen in den ungelösten Problemen seines Lebens und den vielen Obliegenheiten, denen er nachkommen musste, wenn er auf dem Rossarco überleben wollte.
»Leicht ist es hier nicht«, gab er zu, »doch ich habe noch die Energie und vor allem den Kopf, um weiterzumachen.« Und an Willenskraft fehlte es ihm tatsächlich nicht, er hätte sogar allein auf dem Mond leben können, wenn er es gewollt hätte. Für die schwereren Arbeiten benutzte er eine Motorhackeund ließ sich, da er im Dorf keine Hilfsarbeiter fand, von einem Trupp Immigranten helfen, vor allem Marokkanern, denselben, die im Sommer über die Strände der Marina zogen und den Badegästen ihren Tand anboten. Selbst Fleisch besorgte er sich auf dem Rossarco, jagte im Wald von Tripepi nach Wild, die unfehlbare Doppelflinte immer schussbereit in der Hand, als fürchte er, aus irgendeinem Loch könnte plötzlich ein Wolf oder ein Verbrecher oder ein Gespenst auftauchen.
Einmal im Monat fuhr er nach Spillace, um ein paar Kilo Nudeln und Zigaretten zu kaufen, neunzig Packungen, er rauchte mehr als ein Türke, mehr als früher. Bei diesen Anlässen öffnete er das verlassene Wohnhaus zum Durchlüften, und vor meiner Ankunft hatte er es von einer Frau aus dem Dorf von oben bis unten reinigen lassen, um mich gebührend zu empfangen.
Seine Mitbürger verstanden nicht, warum er dieses unbequeme Leben führte, hatten aber auch nicht den Mut, ihn zu fragen, wohl wissend, dass er ihnen sowieso nicht geantwortet hätte: Sie waren zusammen aufgewachsen, sie kannten seine Art nur zu gut. »Stell dir vor, Michelangelo Arcuri ist ein noch schlimmerer Sturkopf als wir, und außerdem kann er richtig wütend werden«, sagten sie und hoben die Hände zum Himmel, wie um eine Bedrohung abzuwenden. Und sie fragten sich: »Warum wird denn so ein Mann, ein erfahrener Lehrer, beliebt bei seinen Schülern, egal ob jung oder alt, respektiert von den Männern und hofiert von den Mädchen, bis er sich dann mit dieser Torinèsia verheiratet hat und auch danach, warum wird aus so einem Mann ein Wilder?« Die Neugier nagte an ihnen. Und kaum sahen sie mich während meines Osterurlaubs im Dorf, empfingen siemich mit breitem Lächeln und aufdringlichen Umarmungen, bestürmten mich mit Fragen, ließen mir keine Ruhe, wollten um jeden Preis die ganze Wahrheit erfahren, von mir, dem ehrlichen und studierten Jungen, sie umschmeichelten mich, dass ich ihnen doch wie ein Sohn, wie ein Bruder sei: »Komm schon, du kannst uns doch nicht auch so täuschen wollen wie dein Vater.«
Ich erwiderte vage: »Auf dem Hügel fühlt er sich freier«, oder: »Ihr kennt ihn doch, er ist ein Einzelgänger«, und schließlich, um sie ein bisschen zu ärgern: »Er liebt den Rossarco eben mehr als euch und das Dorf.«
»Du bist genauso durchtrieben wie Michelangelo, ihr seid aus einem Holz geschnitzt. Red schon, stell dich nicht dumm. Uns kannst du vertrauen«, bedrängten sie mich schamlos.
Da musste ich unwillkürlich lächeln und überließ sie ihren Spekulationen, entfernte mich von dem kreischenden Chor: »Spuck sie aus, die Wahrheit, komm schon, die ganze Wahrheit ...«
Die Wahrheit lag an jenem Ort mit dem geheimnisvollen Duft begraben. Vielleicht hatte mein Vater beschlossen, sich auf dem Hügel niederzulassen, um
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