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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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seine Geheimnisse und unsere Geschichten besser hüten zu können. Darum verstand ich nicht, warum er sich nun von ihnen befreien wollte. Und einen Urlaubstag nach dem anderen lauschte ich ihm, gebannt von einer begreiflichen Unruhe. Dann, 1195 Kilometer weit von ihm entfernt, ganz in Simonas Nähe, die ich im Wohnzimmer rumoren hörte, schloss ich die Augen, folgte in der abgestandenen Luft meines Arbeitszimmers der Spur eines unmöglichen Duftes und betrachtete alles noch einmal durch seine Kinderaugen.

8
    Das Kind war auf der Hut, wie die Mutter es ihm aufgetragen hatte. Auf dem Rossarco lauerten Gefahren aller Art: giftige Schlangen im Gras oder zwischen den Steinen, Hornissen und Wespennester, Wildschweine und hungrige Wölfe, zwischen Dornen verborgene Gruben und an manchen Stellen des Waldes von Tripepi sogar Fallen, die Wilderer ausgelegt hatten.
    »Pass auf, denn die Hölle verbirgt sich im Paradies«, wiederholte die Mutter und betonte dabei jedes Wort, während sie den Schollen rhythmische Schläge mit der Hacke versetzte, die mal rauen Zärtlichkeiten, mal Messerstichen ähnelten.
    »Keine Sorge, Mà, ich tu mir schon nichts«, versuchte der Junge sie zu beruhigen, der ihre Ängste nicht begriff. Es war ein lauer Aprilnachmittag, vor seinen Augen erstreckte sich der duftende Hügel in unbeschreiblicher Farbenpracht, unter denen das Purpur des Süßklees und in der Ferne, hinter den Eisenbahngleisen und dem Küstenstreifen, das Blau des Meeres hervorstachen. Dann sprang es mit der Leichtigkeit eines Eichhörnchens auf den großen Olivenbaum, um in Ruhe seine Mutter zu bewundern.
    So war sie: ängstlich und doch ungestüm, mehr Vater als Mutter, seitdem ihr Mann sie mit den beiden Kleinen allein gelassen hatte. Ihre Hände waren schwielig wie die der Bauern, und wenn sie nach einem harten Arbeitstagdie Kinder streicheln wollte, tat sie das mit den Fingerrücken, den Wangen und den vollen Lippen. Sie war schön, seine Mama, wenngleich sie aus der Ferne wie ein mürrischer Bauer aussah, voller Zorn auf den harten Boden und auf Michelangelo, der nach Nestern suchte oder Eidechsen jagte, anstatt ihr zu helfen, oder stundenlang auf dem großen Olivenbaum hockte, um im Himmel die weiße Schwalbe zu entdecken, von der der Großvater immer erzählte.
    »Komm da runter, Michè, bitte, wenn du fällst, bist du platt wie eine reife Feige, und dann besorg ich dir den Rest«, rief sie ihm mehrmals zu, ohne zu merken, dass der Wind ihrer Stimme die Kraft nahm und sie zu einem zahnlosen Echo zerfranste.
    Das Kind hörte auf zu lächeln: Es hatte ein schleifendes Geräusch auf dem Kies der Fiumara gehört. Voll Neugier stieg es flink vom Baum, rannte zum Rand des Feldes, wo es abschüssig wurde, und beugte sich, so weit es konnte, über die Holunderbüsche, halb betäubt von ihrem Duft.
    Als die kleine Staubwolke sich legte, erschien am Fuß des Hügels ein offener Wagen mit zwei vorgespannten Pferden. Ihm entstiegen drei Männer und begannen, dem mit Mückenschwärmen aus der nahen Fiumara aufgeblähten Wind Ohrfeigen zu versetzen. Sie sprachen und gestikulierten aufgeregt, doch ihre Stimmen waren kaum zu hören, nicht mehr als im Gurgeln des Wassers erstickte Wortechos. Einer der drei wies mit dem Finger auf den Gipfel des Rossarco. Das Kind zog schnell den Kopf ein wie eine verängstigte Schildkröte und erkannte unter seinem Panzer aus Holunderzweigen gerade noch, wie die Männer den Saumpfad einschlugen und mit schnellen Schritten zu ihm hinaufstiegen.In der ersten Serpentine verlor er sie aus den Augen. Also sprang er eilig aus dem Busch und rannte zur Mutter.
    »Mà, da kommen drei Männer zu uns herauf.«
    »Drei Männer?«, wiederholte die Mutter und ließ die Hacke sinken.
    »Ja, sie sind aus einem Pferdewagen gestiegen und kommen jetzt hoch. Was sollen wir tun, Mà?«
    Die Mutter überlegte besorgt, sie wusste keine Antwort, und das Kind wollte ihr vorschlagen, sich lieber zu verstecken, es gab so viele Verstecke in der Nähe, sie konnten sich zum Beispiel in eine Grotte flüchten oder zwischen die Steineichen im Wald von Tripepi oder, noch besser, in den geheimen Unterschlupf, den er mit seinen Freunden gebaut hatte, indem sie mit der Hippe einen riesigen Brombeerbusch ausgehöhlt hatten.
    »Wir warten. Vielleicht wollen sie Öl kaufen«, sagte die Mutter, um ihn zu beruhigen, wischte sich mit einem Arm den Schweiß von der Stirn und steckte mit einem Klämmerchen ein paar schwarze Haarsträhnen fest. Sie

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