Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
Vom Netzwerk:
das die beiden Mitarbeiter imitierten; dann nahm er sein Büchlein aus der Jackentasche und machte eine schnelle Notiz. »Ich weiß es nicht«, erwiderteer nun wieder ernst. »Für mich ist Krimisa oder Krisma dort, wo wir handfeste, unanfechtbare Beweise finden. In den nächsten Tagen wird man sehen, was hier drunter liegt.« Und er wies seine Mitarbeiter an, mit Pflöcken das genaue Gebiet abzustecken, wo gegraben werden sollte.
    Am nächsten Tag hatte die Mutter verlangt, dass der Sohn zur Schule ging. »Wenn du willst, kannst du nach dem Mittagessen zu mir auf den Rossarco kommen.«
    Die Schulstunden wollten nicht vergehen. Michelangelo stöhnte. Im Unterschied zu den anderen Lehrern strafte seiner nicht mit Rohrstockschlägen auf die Hände, er war ein gutmütiger, aber etwas langweiliger Mann, der sich unermüdlich in Erklärungen erging und unverständliche Wörter und Zeichen an die Tafel schrieb, die die Kinder zerstreut in ihre Hefte abmalten. Michelangelo hob die Hand und durfte nach fünf Minuten endlich seine Frage stellen: »Herr Lehrer, könnt Ihr mir erklären, was eine Magmakrake ist?«
    Seine Klassenkameraden sahen ihn feindselig an, weil er ihren vormittäglichen Halbschlaf gestört hatte. Der Herr Lehrer lächelte leicht verwirrt: »Es heißt Magna Graecia, Dummerchen. Das bezeichnet die Gesamtheit der Kolonien, die die alten Griechen hier bei uns gründeten, an den schönsten und fruchtbarsten Orten. Wir haben letztes Jahr darüber gesprochen, man sieht, dass du an diesem Tag in den Wolken geschwebt und deine Albino-Schwalbe gesucht hast.«
    Seine Mitschüler brachen in heiteres Gelächter aus.
    Vor Scham zog Michelangelo den Kopf zwischen die Schultern wie eine Schildkröte. Er bereute es, in einem Aufsatz über die weiße Schwalbe geschrieben zu haben, und sprach den ganzen Vormittag mit niemandem mehr ein Wort.
    Zu Hause setzte er sich nicht zur Großmutter und Ninabella an den Mittagstisch, sondern nahm ein Stück Brot und ein paar getrocknete Feigen. »Mama wartet auf mich«, sagte er und rannte genüsslich kauend hinaus.
    Auf dem Rossarco hörte man das monotone Klopfen der Spitzhacken und Spaten, das Schaben von Harken und Kellen, das sich im Echo der Schluchten verzehnfachte und vom Wind über das Meer fortgetragen wurde.
    Michelangelo begrüßte die Mutter, die im Gemüsegarten hinter der Casella jätete, dann ging er aufgeregt zu Professor Orsi, der im Kreise seiner Helfer grub. Sie arbeiteten schweigend, wie mit angehaltenem Atem. Sie waren zu zwölft, alles Männer, bis auf zwei Jungen, nur wenig älter als Michelangelo. Niemand achtete auf ihn. Also stieg er auf den großen Olivenbaum, machte es sich in einer robusten Astgabel bequem, fast in der Spitze, und verfolgte aufmerksam die Arbeit der Männer und der Mutter. Als er keine Lust mehr hatte, hing er ungestört seinen Gedanken nach oder bewunderte den Himmel über sich auf der Suche nach der weißen Schwalbe und nahm sich fest vor, wenn er sie jemals sehen würde, ganz allein dem Großvater davon zu erzählen.
    Ab und zu rief jemand: » Professore !«, dann unterbrach Paolo Orsi seine Arbeit und ging zu ihm. Die tiefe Falte, die sich senkrecht in seine Stirn grub, schloss und öffnete sich bei jedem Schritt, bei jedem Gedanken. Am Ende der Prüfung hörte man seine verärgerte Brummstimme: »Das ist nichts Besonderes. Grab hier weiter, und pass gut auf!« Bis er dann die Brillengläser auf die Nasenspitze schob und seine Augen aufblitzten. Einer der zwei Jungen hatte eine Terrakottascherbe gefunden, die ihm interessant erschien. DerProfessor begann selbst an der Stelle zu graben und brachte in kürzester Zeit fünf oder sechs weitere Scherben zum Vorschein. Er sagte zu dem Jungen: »Mach hier weiter, wie ich es getan habe, ganz vorsichtig.« Dann trat er zwischen Olivenbaum und Casella, wo er eine kleine Stelle hergerichtet hatte, um die Fundstücke abzulegen. Er setzte sich auf einen großen Stein, bürstete die einzelnen Fragmente sauber, nahm sein Notizbuch und schrieb eilig ein paar Sachen hinein.
    Als der Junge vom Baum herabkletterte, ging die Sonne gerade hinter dem Sila-Gebirge unter, und der Himmel war so rot wie die Kuppe des mit Süßklee überzogenen Hügels. Die Mama hatte ihn gerufen, weil es spät war und sie nach Hause mussten, bevor die Dunkelheit sie überraschte.
    Michelangelo blieb einen Moment neben Professor Orsi stehen. Er warf einen neugierigen Blick auf die Terrakottascherben und den Forscher, der eine

Weitere Kostenlose Bücher