Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
Vom Netzwerk:
Weihnachten und zwei Ostern ohne ihn. Nach seiner Abreise hatten sie zu Hause kein Fest mehr gefeiert, genau wie trauernde Familien es taten. »Alles Don Licos Schuld, der seine Vipernaugen auf unser Land geworfen hat«, wiederholte die Mutter dem Sohn. So war ihr nichts anderes übriggeblieben, als die Mühen der Landarbeit selbst zu schultern. Die Einzigen, die ihr während der Aussaat und der Ernte zur Hand gingen, waren drei alte Onkel mütterlicherseits, ein paar Vettern und manchmal Nonna Sofia.
    Auf den Großvater konnte man nicht zählen, ihm fehlte es an Kraft und Willen, das Haus zu verlassen. An manchen Tagen stand er nicht einmal mehr aus dem Bett auf. Seit der dritte Sohn verschwunden war, hatte er unabwendbar abgebaut. Er saß den ganzen Tag mit aufgerissenen Augen da und führte Selbstgespräche, stellte den abwesenden Söhnen Fragen und gab sich selbst die Antworten. Seine Frau fütterte ihn wie ein Baby, und der Alte aß ohne jeden Kommentar, schmeckt’s, schmeckt’s nicht, er aß und sprach mit den Söhnen. Normalerweise war er wütend, vor allem auf Arturo: »Ich hatte dir ja gesagt, wenn du weiterhin den Schlaukopf spielst, murksen sie dich gnadenlos ab. Du bist ein sturerBock, nie willst du auf mich hören«, schimpfte er und antwortete dann: »Wie oft muss ich dir noch sagen, Pà, dass ich nicht tot bin? Ja, aber leider wirst du es bald sein, mein Sohn, weil du einfach nicht klein beigeben willst.«
    Ninabella brach in Tränen aus, wenn sie die Worte des Großvaters hörte: »Du bist gemein, so gemein! Das stimmt nicht. Papa ist nicht tot und wird nicht sterben. Mama sagt, dass er bald zurückkommt.«
    Lina trug die Tochter weg und tröstete sie: »Der Nonno redet dummes Zeug, er ist alt, und sein Hirn vertrocknet langsam. Du wirst sehen, der Papa kommt bald wieder.«
    Doch der Papa kam nicht wieder. Die Großmutter hatte versucht, ihn zurückzuholen: Mit Hilfe von Michelangelos Lehrer Maestro Tavella, einem gutmütigen Mann von auswärts, hatte sie zweimal um Begnadigung gebeten. Doch leider, ohne Antwort zu bekommen. Maestro Tavella war genauso untröstlich wie die Familie und hoffte, dass die Zeit der Verbannung aufgrund guter Führung verkürzt würde oder wenigstens nicht verdoppelt, auf zehn Jahre anstatt fünf. »Nein, nein, um Himmels willen, mein Sohn muss früher freikommen, sonst richte ich ein Blutbad an!«, schrie Sofia. Und zusammen mit Lina verfluchte sie den Schuldigen, dieses herzlose und machtbesessene Faschistenschwein, das jedermann im Dorf fürchtete, alle, die sie lächelnd vor ihm kuschten, mit gesenktem Kopf, selbst die Kinder bei den Samstagsversammlungen auf der Piazza, und ihm hinter seinem Rücken den schlimmsten Henkerstod an den Hals wünschten, dass ihm das Blut in den Adern gefrieren oder ein Blitz aus heiterem Himmel ihn erschlagen möge.
    Michelangelo wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen, eine schnelle, ärgerliche Geste. Er sagte: »Ich geheraus, spielen.« Im Aufstehen begegnete er dem stolzen Blick des Vaters, dessen Foto mit den Brüdern immer noch an der Küchenwand hing. Wenn du nicht bald zurückkommst, sagte er in Gedanken zu ihm, komme ich dich persönlich holen. Don Lico verbietet es mir? Ich gehe in sein Haus und schieße ihm mit deinem Gewehr eine Kugel in den Kopf. Ich weiß, wo du es versteckt hast. Ich habe vor niemandem Angst, so wie du. Ciao, Pà.
    Die Mutter warf ihm einen verschwörerischen Blick zu, und das Kind fuhr sich leicht mit den Fingern über die geschürzten Lippen, um den Schwur zu bekräftigen.
    Später genügten zehn Minuten Versteckspiel mit seinen Freunden, und Kummer und Ärger waren verflogen. An diesem Abend fühlte er sich unbesiegbar. Bei der gewohnten Kickerei auf dem Platz mit einem Lumpenball hielt er keine Sekunde inne: Er rannte zum Angriff und zur Verteidigung, wenn er überholt wurde, stellte er dem Widersacher ein Bein, lachte wie ein Verrückter und brüllte bei jedem Tor so laut, dass er den Protest der alten Bauern auf sich zog, die sich in ihrem Schläfchen nach dem Abendessen gestört fühlten, und die beleidigten Schmähungen der anderen Mannschaft. Zum Glück machte die Dunkelheit dem Gefecht ein Ende.
    »Was war denn heute mit dir los?«, fragte ihn sein Freund Alduzzo auf dem Heimweg. »Du bist gerannt wie von einer Tarantel gestochen.«
    Stumm wie ein Fisch sollst du sein.
    »Nichts. Ich bin nur so froh, weil ich von Mama gehört habe, dass Papa bald zurückkommt.«

10
    Krimisa, eine kleine

Weitere Kostenlose Bücher