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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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Köpfe verstecken sie hinter einem Haufen Abkürzungen: Du kannst sie schwer bekämpfen, weil du ihre Gesichter nicht siehst. Und die, die dann herumgeschickt werden, sind nur der letzte Knopf an der Joppe. Auf alle Fälle bin ich nicht so naiv wie mein Vater und habe außerdem dich, der mir notfalls beisteht, während er alleine gegen seine Windmühlen kämpfen musste. Ich war damals noch zu klein, wie hätte ich ihm helfen sollen? Ich tat so, als sei ich groß, um nicht zu weinen.«

13
    Seit der Vater in die Verbannung gegangen war und des Großvaters Kräfte dahinschwanden wie eine Fiumara im Sommer, wurde Michelangelo immer verantwortungsvoller und fügsamer.
    »Du bist jetzt der kleine Mann im Haus«, pflegte die Mutter zu sagen, und Nonna Sofia pflichtete ihr mit anderen Worten bei: »Du bist schön und strahlend wie die Sonne, ganz wie dein Vater als Junge, nur ernsthafter, ohne die vielen Flausen im Kopf, und nie drückst du dich, wenn die Familie deine Hilfe braucht.« Vor allem die Großmutter schätzte seine Arbeit auf dem Feld, wann immer er konnte, und mehr noch, dass er dem Großvater Gesellschaft leistete und viel Geduld für die Schwester aufbrachte, die sich am wenigsten mit der Abwesenheit des Vaters abfand.
    Ninabella kam hartnäckig immer wieder darauf zurück, ein wahrer Sturkopf wie alle Arcuris. »Ich möchte mit zur Mama!«, wiederholte sie an manchen warmen Frühlingstagen und hörte erst auf, wenn der Bruder ihr erschöpft nachgab: »In Ordnung, ich nehme dich mit, aber es ist das letzte Mal. Und wehe, du jammerst, dass du nicht mehr kannst!«
    Sie verließen das Dorf nach der Schule, aßen unterwegs ein Stück Brot und getrocknete Feigen. Aus Stolz sagte Ninabella keinen Mucks, höchstens keuchte sie mal oder verjagte mit zornigen Bewegungen die Fliegen, die von ihremSchweiß angezogen wurden. Nicht einmal unter Folter hätte sie ein Wort der Klage hören lassen.
    In wenig mehr als einer Stunde waren sie auf dem Rossarco.
    Michelangelo half der Mutter, die Olivenbäume zu stutzen, während die Schwester auf einem Stein saß oder im Gras kniete und mit der gleichen versunkenen Konzentration aufs Meer hinaussah, mit der sie malte. Ja, in diesen Momenten wirkte es fast so, als male sie mit den Augen. Die flitzten flink in alle Richtungen, bis zum Horizont, blieben manchmal an den Fischerbooten hängen, an einer schäumenden Welle, an dem Leuchtturm, der von dort oben wie in das Wasser gerammt aussah. »Das Meer ist wunderschön! Ich will Fischerin werden«, sagte sie, wenn sie den Bruder hinter sich spürte, »und mit meinem Boot bis zu der Insel fahren, wo Papa ist.«
    Der Bruder lächelte: »Ninabè, du bist ja spinnert im Kopf.« Da packte sie ihn am Arm, hängte sich in einer überraschenden Umklammerung an ihn und schubste ihn auf den Abhang zu: »Du bist spinnert, nicht ich, du und der Nonno.«
    »Nein, nein, lass das, hör auf!«, schrie Michelangelo, und dann rollten sie Arm in Arm den Abhang des Piloru hinab über die Süßkleematten, wälzten sich unter Gelächter und Geschrei umher, die Köpfe in die Luft gereckt, die Haare vom Wind gebläht, die Körper eingetaucht in Wellen aus Blättern und purpurroten Blüten.
    Die Schreie hallten bis zur Mutter, die besorgt herbeigelaufen kam: »Was habe ich für hirnverbrannte Kinder! Ihr habt mich vielleicht erschreckt. Hoch mit euch!«
    Die Kinder hörten sofort auf und jagten einander folgsam und verschwitzt den Hang hinauf. Kurz darauf, sobald dieMutter und Michelangelo wieder an der Arbeit waren, ließ sich Ninabella auf den Klee-Teppich fallen, kullerte umher und schlug Purzelbäume, bis es Zeit war, nach Hause zu gehen. Wie eine stillvergnügte Irre.
    Eines Nachmittags wollte Nina einen Eimer Wasser aus der Fiumara holen, die wenige Schritte entfernt am Gemüsegarten vorbeifloss. Plötzlich stieß sie einen markerschütternden Schrei aus wie eine wahre Irre, lang und beängstigend. Der Bruder warf die Hacke auf die Paprikapflanzen und war im Nu bei ihr.
    »Schau nur, Michè, schau nur da.«
    Anfangs war Michelangelo wie versteinert, wusste weder was tun noch sagen. Die Schwester hatte wieder zu schreien begonnen, die Hände fest an die Wangen gepresst, und hüpfte auf der Stelle auf und ab, unfähig, sich loszureißen oder wenigstens die Augen zu schließen.
    Jenseits der Fiumara, an dem Ufer, wo das Flurstück namens Chinigò begann, brodelte die nackte Erde von Schlangen: Dutzende Schlangen aller Art und Größe, die aus dem Nichts

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