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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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Hügel.
    »Genossen, ihr seid zu schnell. Der Krieg hat sich nur nach Norden verlagert, er ist noch nicht zu Ende. Aber danke für euer Vertrauen«, wehrte Arturo aus Aberglaube ab.
    In jenen Tagen war er mit der Familie bei der Traubenlese und hielt auch William immer wieder zur Vorsicht an: »Hab noch ein wenig Geduld, bald bist du frei wie ein Vogel. Ich habe noch zu viele zerschlagene Faschistentrupps und zu viele deutsche Lastwagenkonvois und Panzer auf dem Rückzug nach Norden gesehen. Wenn sie nicht mehr hier sind, kommst du mit mir nach Spillace, schläfst ein paar Nächte in einem richtigen Bett, wir feiern gebührend die Freiheit,du lernst meine Freunde und das Dorf kennen, und danach bringe ich dich zu den Alliierten.«
    »Okay«, erwiderte William und blickte Ninabella mit einem gezwungenen Lächeln in die Augen, in dem keine Freude lag.
    Ninabella zog ihn auf: »Du müsstest doch froh sein, warum ziehst du ein Gesicht wie zu deinem Begräbnis?«
    »Begräbnis? Ich verstehe nicht.«
    »Wenn jemand gestorben ist.«
    William kniff die Augen zusammen und guckte dumm, er hatte es nicht verstanden, wollte nicht verstehen. Ninabella hätte ihn am liebsten umarmt, um seinen verborgenen Schmerz zu lindern. Sie tat es nicht, weil die Eltern in der Nähe waren, die den Karren mit den vollen Trauben-Kiepen beluden. Stattdessen streichelte sie ihn mit dem Blick und lächelte ihn an, doch nichts sollte sie je so bereuen wie diese verpasste Liebesbezeigung.
    Dann stieg sie auf den Karren und fuhr mit Großmutter und Mutter los. Der Vater blieb oben, um die restlichen Trauben zu bewachen, die sie am nächsten Tag ins Dorf zum Keltern bringen würden.
    »Dann bis morgen. Kommt zeitig, damit wir bis Mittag fertig sind«, waren Arturos letzte Worte.
    Als sie am nächsten Tag von Spillace hinabgingen, sahen sie die Sonne machtvoll aus dem Meer aufsteigen wie einen riesigen Feuerball. Mutter und Tochter seufzten. Ein herrlicher Septembertag kündigte sich an.
    Auf dem Hügel empfing sie ein milder Wind, der kleine Staubwirbel aufpustete und sie die Augen zusammenkneifen ließ. Im Weinberg fanden sie niemanden, gemeinsam riefensie: »Wo seid ihr?«, doch weder Arturo noch William antworteten.
    Ninabella stieg als Erste vom Karren und betrat die Casella. Ein paar Schritte hinter der aufgerissenen Tür lagen umgekippte Körbe, über den Boden verteilt zermatschte Weintrauben, während ein Schwarm summender Wespen sich wie betrunken in den dicken, blutroten Saft stürzten.
    Von einer bösen Vorahnung getrieben rannte sie hinaus und sah Mutter und Großmutter wie angewurzelt vor dem großen Olivenbaum stehen. Schreiend vergrub sie ihr vor Entsetzen verzerrtes Gesicht in den Händen, wie sie es als Kind angesichts der Schlangenflut getan hatte. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Sie schrie wie eine rasende Irre. Erst da schienen ihre Mutter und die Großmutter aus einem Alptraum zu erwachen und begannen ebenfalls laut zu kreischen: »Artù, Artù, wo bist du? Antworte!«
    Williams Leichnam schaukelte träge im Wind, die Schlinge eng um den Hals gezogen, seine Augen in ihrer ganzen himmelblauen Größe hervorgepresst, glanzerfüllt vom warmen Sonnenlicht. Der Gesichtsausdruck war zweideutig, zwischen enttäuschter Ernüchterung und Pein. Er schaukelte wie ein lebloses Stück Holz.
    »Wehe uns, beim heiligen Antonius, was sollen wir nur tun? Wo ist Arturo? Warum antwortet er nicht?«, fragte Lina die Schwiegermutter. Ninabella hatte sich auf die Knie ins Gras fallen lassen und weinte verzweifelt.
    Nach etwa zehn Minuten kamen vier Tagelöhner angerannt, die auf Don Licos Feldern jenseits des Flusses gearbeitet und die Schreie gehört hatten. Jede Erklärung war überflüssig, sie sahen den jungen Fremden am Olivenbaum hängen, nahmen ihre Kappen ab und bekreuzigten sich. Einervon ihnen bemerkte das blutverschmierte Gras, ein langer Streifen, der in einer Pfütze mündete, purpurrot wie der Süßklee, genau unter dem Unbekannten: »Zuerst haben sie ihm in den Rücken geschossen, dann haben sie ihn hierhergeschleppt und am Baum aufgehängt. Das waren Mörder ohne einen Funken Gnade: Sie haben ihn zweimal gemeuchelt.«
    »Wer ist dieser tote Christenmensch?«, fragten sie die Frauen. »Und Genosse Arturino, wo ist der?«
    »Wir rufen die ganze Zeit nach ihm, aber er antwortet nicht, vielleicht haben sie ihn weggebracht«, sagte die Alte und überhörte die erste Frage.
    »Aber wer?«
    »Vielleicht versprengte Faschisten oder Deutsche

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