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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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Entscheidung vor sich her, in der Hoffnung, das Problem dann lösen zu können, wenn es akut würde, oder dass es irgendwie von selbst verflöge.
    Direktor Spinelli redete nicht lange um den heißen Brei: »An der Grundschule von Verzino ist eine Stelle frei geworden, ein Lehrer-Kamerad von uns hat sich freiwillig an die Front gemeldet. Der Lehrauftrag liegt nun bei Euch, Maestro Arcuri. Bis spätestens morgen müsst Ihr mir das Beitrittsformular zur Faschistischen Partei vorlegen. Wir wissen vom Bürgermeister in Spillace, dass Ihr kein Mitglied seid. Das ist die conditio sine qua non , das versteht Ihr, oder?«
    Michelangelo bedankte sich, ohne seine Absichten erkennen zu lassen. Mit düsterer Miene ging er nach Hause, wie in Trauer, und sagte vor der in der Küche zum Abendessen versammelten Familie: »Ich bekomme die Stelle in Verzino, wenn ich der Partei beitrete.« Er holte tief Luft, während Mutter und Großmutter schon in Begeisterungsstürme ausbrachen – »Glückwunsch, mein Schatz, endlich ist das Glück auf unserer Seite« –, und fügte dann hinzu: »Ich werde diesen Parteiausweis nicht machen lassen, weder jetzt noch später.«
    Der Vater sah dem Sohn schweigend in die Augen. Ninabella sagte: »Gut so, Brüderchen, sehr gut, ich würde dasselbe tun.«
    »Ja, also, ich versteh die Welt nicht mehr: Warum hast du all die Opfer gebracht, Tag und Nacht studiert, das Geld aus unserem Münzschatz verbraucht, wenn du gar kein Lehrer werden wolltest, der richtig und echt unterrichtet«?
    »Das stimmt nicht, Mà, ich will unterrichten, und wie. Aber an einer freien Schule, hörst du, Mà, ich kann mir mit diesen Kriminellen nicht die Hände schmutzig machen, ich warte auf die Demokratie. Ich habe gehört, dass die Alliierten schon bald in Sizilien landen und die Nazis mit Arschtritten davonjagen werden, allen voran Mussolini.«
    »Ja, wer’s glaubt ...«, unterbrach ihn die Mutter.
    »Schluss jetzt.« Das waren die einzigen Worte des Vaters. Er stand vom Stuhl auf und umarmte seinen Sohn, ohne eine Silbe hinzuzufügen.
    Am Ostermontag stiegen sie zum Feiern alle zusammen mit dem Eselskarren auf den Hügel. Sie hatten Käse, Würste, einen ganzen Schinken, Lammfleisch zum Braten, Brot und Wein in Hülle und Fülle dabei, während sie Orangen und Mandarinen frisch von den Bäumen pflücken und den Salat aus dem Garten schneiden wollten. Es kam wohl vor, dass es Familie Arcuri an Geld mangelte, niemals jedoch an Essen, auch nicht während des Krieges, sagte mein Vater stolz.
    William freute sich wie ein Kind über das unerwartete Fest und aß und trank mit ansteckendem Appetit. Arturo warnte ihn, dass es auf den Hügeln rund um den Rossarco an diesem Ausflugstag von neugierigen Augen und Klatschmäulern nur so wimmelte, »du musst aufpassen, lauf nicht zu viel herum, vielleicht gehen wir lieber alle in die Casella.«
    Es war das einzige Mal, dass William seinen Rat nicht beherzigte. Der große Olivenbaum drehte sich über seinem Kopf, es war ein strahlender Tag, die Gitarrenklänge, mal von Arturo, mal von Michelangelo, stimmten ihn so fröhlich, er bewunderte das Mädchen, das leichten Schrittes barfuß eine Tarantella um die auf der Wiese ausgebreitete Tischdecketanzte, lauschte dem Chor der Frauen, die aus vollem Halse sangen, und dieser Rhythmus, diese Wärme, er hüpfte wie eine Grille, klatschte gegen den Takt mit und trank bis zur Betäubung. »Wein bitte«, sagte er und hielt Donna Lina das leere Glas hin, versuchte sich sogar in einem kleinen Rundgesang: » O riturnella o tarantella o riturnella o Ninabella«.
    Das Gelächter, die Musik, der Duft des Essens wehten von Hügel zu Hügel, vereinten die Familien im kollektiven Ritual, bannten für ein paar Stunden die Angst vor dem Krieg, die Todesgefahr an der Front, in der ihre Soldatensöhne, Verwandten und Freunde schwebten.
    Am späten Nachmittag kippte William um auf die gelben Kleeblüten, das zufriedene Gesicht zur mächtigen Krone des Olivenbaums gewandt, den Mund in einem rhythmischen Schnarchen geöffnet, hier und da durchmischt von einem » o riturnella ... bella ... bella «, dem letzten Gesang des Tages.
    Arturo schleifte ihn in die Hütte. »Für heute«, sagte er, »haben wir genug riskiert.« Und wieder draußen fügte er hinzu: »Das war eine unvergessliche Pasquetta, seit meiner Schulzeit habe ich nicht mehr so viel gelacht.« Dann blickte er den Sohn an, dessen Stirn in tiefe Falten gelegt war, den Blick von dunklen Wolken verdüstert.

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