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Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
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lang legten wir außer einem Schädel mit komplett erhaltenem Gebiss Hunderte von Knochen frei, ganze oder zerbrochene, beinah mit jedem Schlag der Spitzhacke. Wir reinigten sie, so gut es ging, und stapelten sie unter dem großen Olivenbaum, um sie später einem Experten zu zeigen. »Schade, dass deine Mutter nicht hier ist, schade«, hörte ich seine ewige Litanei. Einige Fundstücke sahen versteinert aus, andere erstaunten uns durch ihren Glanz, sie schimmerten in der Sonne wie poliert. Mein Vater war fasziniert, fast zärtlich drehte er sie in den Händen: »Vielleicht ist es wirklich die Nekropole von Krimisa, vielleicht ist es auch ein Schlachtfeld aus Hannibals Zeiten ... und vielleicht heißt unser Hügel deshalb Rossarco, wegen dieser blutigen Schlacht, an die sich niemand mehr erinnert ...«
    »Oder es ist ein Friedhof der ’Ndrangheta«, fügte ich hinzu, genervt von seinen vielen Vielleicht. Mein Vater erdolchte mich mit seinem Blick und grub weiter.
    Ein paar Tage darauf teilte ich ihm mit, dass ich am nächsten Morgen abreisen würde, eine Woche früher als geplant.
    »Ach!«, rief er kommentarlos aus. Doch in seinem Tonfall und in seinem eisigen Blick lag die ganze Missbilligung, die er meinem Entschluss entgegenbrachte.
    »Gestern Abend hat mich Simona angerufen und gesagt, dass es Komplikationen mit der Schwangerschaft gibt. Ich mache mir Sorgen ...«
    »Na, wenn das so ist, musst du sofort abreisen«, sagte er voller Verständnis. Und als ich weitergraben wollte, kam er zu mir und riet mir mit einem kumpelhaften Schlag auf dieSchulter, nach Spillace zurückzukehren: »Geh in Ruhe packen, ich mache hier weiter.«
    In dieser Nacht konnte ich nicht einschlafen. Das ging mir vor Reisen immer so. Mein Kopf tat genau das Gegenteil dessen, was ich von ihm wollte: Versuch zu schlafen, morgen erwartet dich eine lange Autofahrt, da musst du ausgeruht sein, schlafe, es ist bestimmt schon zwei Uhr nachts, oder drei, schlafe, und je mehr ich mir vornahm zu schlafen, desto nervöser wurde ich. Irgendwann bildete ich mir ein, die unruhigen Schritte meines Vaters zu hören, der fast zornig durch seine Schlafkammer stapfte wie ein eingesperrtes Tier. Ich stellte mir vor, wie er oben auf dem Rossarco wütend rauchte und sich nach einer Zigarette gleich die nächste anzündete, ohne Unterbrechung, um Streichhölzer zu sparen, wie er immer scherzte. Dann füllte er die Espressokanne, zündete den Gasherd an und öffnete die Tür, auf die Katzen fluchend, die seinen Liegestuhl belagerten. Ich sah auf den Wecker: vier Uhr. In meinem Kopf ging mein Vater weiter rauchend auf und ab. Adieu, letzte Ruhestunden. Seine Unrast drang in mein Zimmer und überflutete mich. An diesem Punkt brachte es nichts mehr, weitere Zeit im Bett zu vergeuden. Ich duschte, trank einen Kaffee und reiste ab.
    Nach ein paar Kilometern und endlosen Kurven tauchte vor meinen Augen der Hügel auf, im vollen Licht der gerade aus dem Meer aufsteigenden Sonne. Auf diese Distanz wirkte mein Vater wie ein weißblauer Fleck mit flimmernden Konturen. Neben ihm noch drei oder vier bunte Flecke in Bewegung. Das waren seine marokkanischen Freunde. Sie gruben schon.
    Ich parkte vor der Casella. Noch bevor ich aussteigen konnte, kam er mir entgegen und zeigte von ferne auf die Sachen,die er für mich bereitgestellt hatte. Kanister mit Öl und Wein, Tüten mit Brot und Taralli, Kartoffelsäcke, Kisten mit roten Zwiebeln, Paprika und Tomaten, Knoblauchzöpfe und Paletten mit Kaktusfeigen, Körbe mit schwarzen Trauben und Hahnensack, Gläser mit eingelegten Pilzen und Oliven in Salzlake.
    Er half mir, alles ins Auto zu packen. Dann küsste er mich, zitternd vor Rührung, wobei er mich mit seinem rauen Bart in die Wangen pikste. Ein ungeheurer Schmerz stieg in mir hoch. Seine Augen waren feucht, vergeblich versuchte er mich anzulächeln. »Umarme mir Simona und den Kleinen, wenn er geboren ist. Gute Reise.«
    Es schien der letzte Gruß eines Todgeweihten.

31
    Marisa hielt ihr Versprechen nicht ein, bald nach Spillace zurückzukehren. Sie konnte nicht, denn an ihrem zweiten Tag in Turin hatte sie erfahren, dass sie schwanger war. Dies war das einzige Mal in ihrem Leben, dass sie nicht sofort wusste, wie sie sich verhalten sollte. Der Vater, pragmatisch und nüchtern, hatte ihr geraten abzutreiben, die Mutter als inbrünstige Katholikin beschwor sie, kein solches Verbrechen zu begehen, sie würden ihr helfen, das Kind großzuziehen, wenn dieser junge kalabresische

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