Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Hügel des Windes

Der Hügel des Windes

Titel: Der Hügel des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carmine Abate
Vom Netzwerk:
küsste jeden Zentimeter ihrer Haut, die prächtigen Brüste, die Innenseite ihrer Schenkel, sogar ihre Füße, und er war zutiefst glücklich, »ich bin nur glücklich«, sagte er zu ihr, »wenn ich bei dir bin.« Dann verwandelte sich seine innere Stimme in die des Vaters: »Du darfst niemals laut sagen, dass du glücklich bist, das bringt Unglück.« Und er bereute es.
    Sie lauschte ihm mit geschlossenen Augen, sie redete nicht gern in solchen Augenblicken, doch ihr Gesicht strahlte in einem Glück, das die Dunkelheit erhellte. Ein leuchtendes Glück.
    Am Tag ihrer Abreise nach Turin überließ Marisa Michelangelo das Mofa als Pfand und versprach ihm überzeugt: »Ich bin bald zurück.«
    Er wollte sie umstimmen, flehte sie an: »Bitte, bleib noch eine Woche. Jetzt, wo die Schule geschlossen ist, können wir am Meer bei der Punta Alice Urlaub machen oder, wenn du willst, durch Kalabrien fahren. Bitte reise nicht ab.«
    »Ich muss. Ich habe meinen Eltern versprochen, ein paar Wochen mit ihnen in Turin zu verbringen. Sie haben ein Recht darauf, und ich möchte es auch. Außerdem werde ich Umberto und seine Mitarbeiter treffen. Hoffentlich können wir Mittel für die Suche nach Krimisa auftreiben. Ich möchte eine Ausgrabungskampagne nach allen Regeln der Kunst organisieren. Du wirst sehen, ich bin bald zurück.«

Ausgrabungen
    Beim Graben spürte ich unablässig Simonas ironischen Blick auf uns. Ich hätte der Bitte meines Vaters um Hilfe nicht nachkommen sollen. Von Anfang an grub ich ohne große Überzeugung, für mich war es ein Wahnsinn, »viel Lärm um nichts«, wie Simona es formuliert hätte. Tagelanges Schwitzen unter der sengenden Sonne.
    Wir fanden nichts, weil es nichts zu finden gab, davon war ich überzeugt. Mein Vater führte Selbstgespräche, wenige Meter von mir entfernt, er sprach mit dem Wind, manchmal nannte er den Namen meiner Mutter, brummig und unzufrieden. Ich hatte den Eindruck, dass auch er keine Hoffnung hatte, die Spuren des antiken Krimisa zu finden. Vielleicht hatte Nonna Lina ja recht: Krimisa lag unter dem länglichen Hügel, der Krisma hieß, vor Spillace. Mein Vater grub um des Grabens willen. Vielleicht war auch sein eigentliches Ziel, auf Arturos Grab zu stoßen oder in diesem Beschwörungsakt das Unheil zu bannen, da er im tiefsten Herzen immer noch hoffte, der Vater sei nicht getötet worden, weder auf dem Rossarco noch anderswo.
    Eines Tages sagte ich zu ihm: »Was wir hier treiben, ist vollkommen sinnlos, hier ist nichts.«
    Er wurde sofort zornig und erwiderte, als hätte er nur auf meine Beschwerde gewartet: »Dann geh doch, wenn du nicht helfen willst. Worauf wartest du noch! Ich mach allein weiter, wie immer.«
    Ich reagierte nicht, wandte mich nur ab und schaufelte weiter. Wieder hörte ich ihn laut vor sich hin schimpfen, ohne die genauen Worte zu verstehen, außer dem Namen meiner Mutter, der im Wind wirbelte.
    Der einzige Trost dieser Tage war die Muße, die ich zum Nachdenken hatte. Ich grub und setzte die letzten Puzzleteilchen der Geschichte zusammen; ich grub, und vor meinen Augen spulten sich Ereignisse ab, die meine Jugend erschüttert hatten; ich grub und durchlebte erneut den Freudenrausch, als Simona mir verkündete, dass wir ein Kind erwarteten; ich grub und verlor mich wieder auf den dunkelsten Irrwegen des Hügels; ich grub und konnte es kaum erwarten, zu Simona zurückzukehren.
    Eines Nachmittags, als ich neben meinem Vater schaufelte, fand ich zwei recht lange, an den Enden gesplitterte Knochen. Ich säuberte sie sorgfältig mit der Bürste, doch weder ich noch er konnte sagen, ob sie zu einem Menschen- oder Tierskelett gehörten, ob sie aus dem alten Krimisa stammten oder aus jüngerer Zeit. Dieser Fund jedoch erinnerte mich an die Skelette, die Paolo Orsi ausgegraben hatte, und ohne Umschweife bat ich meinen Vater, mir die Wahrheit zu erzählen.
    Er versuchte, der Frage auszuweichen, indem er bemerkte, die neuen Knochen sähen versteinert aus, müssten also antik sein. Als er meinem fordernden Blick begegnete, meinte er vage: »Ich kenne ja nur die eine Seite der Wahrheit ...«, und schaufelte weiter.
    »Und die wäre? Erzähl schon!«, beharrte ich.
    Und er: »Nur keine Eile. Vorher muss ich dir noch wichtigere Geschichten erzählen, Geschichten, die nicht ...« Er brach ab. »Komm mal gucken! Hier sind noch mehrKnochenteile, Dutzende ...«, rief er, weiter grabend. »Hier auch, komm schnell! Hier müssen wir besonders vorsichtig sein.«
    Zwei Tage

Weitere Kostenlose Bücher