Der Hügel des Windes
auf die nassen Augen, presste ihn an ihren mit Milch gefüllten Busen, an dem ich lustvoll saugte.
In schönster Eintracht gaben sie mir zwei Namen: Arturo, wie mein Großvater väterlicherseits, und Cesare, wie jener mütterlicherseits. Und sie nannten mich Rino, die Verkleinerungsform von beiden, damit alle glücklich waren.
Die Streitereien begannen, als mein stolzer Vater begriff, dass Marisa keinerlei Absichten hatte, mit dem Neugeborenen nach Spillace zu ziehen.
»Soll das ein Witz sein?«, brüllte er. »Ich habe das Haus renoviert, jetzt ist es bis auf Don Licos und das des Arztes das einzige mit Bad und fließend Wasser. Es gibt in jedem Zimmer elektrisches Licht und so viel Platz, wie du willst. Du kannst nicht behaupten, dass sei nicht kindgerecht, ich und meine Schwester sind kerngesund und munter aufgewachsen ohne jeden Komfort.«
Sie überbrüllte ihn: »Schrei nicht so, was glaubst du, wer du bist? Je mehr du schreist, desto weniger erreichst du bei mir.« Und sie legte ihm die Gründe auseinander, warum sie in nächster Zeit nicht vorhatte, umzuziehen: die Reise zu lang, im Zweifelsfall kein Krankenhaus in der Nähe, die immer noch nicht gänzlich bezwungene Malaria, die afrikanische Hitze, die Polarkälte, kurz, das extreme Klima, das einem Neugeborenen schaden würde. »Lassen wir ihn ein paar Jahre ruhig in Turin aufwachsen, dann nimmst dudeinen kleinen Prinzen mit, um ihn dem ganzen Dorf zu zeigen.«
Der letzte Satz war versöhnlich gemeint, doch schnitt er ihm ins Fleisch wie ein Messerstich. »Du bist wirklich ein Miststück«, sagte er zornig, während seine Augen aus den Höhlen zu springen drohten.
»Und du bist ein wahrer Gentleman, der weiß, wie man mit Frauen redet«, erwiderte sie trocken und zog sich, ihn in seiner Pein im Wohnzimmer zurücklassend, ins Schlafzimmer zurück, um den kleinen Prinzen an der Brust zu beruhigen, der schrie wie sein Vater.
Den Kampf der unbelehrbaren Sturköpfe gewann Marisa, die in dieser Zeit am längeren Hebel saß.
In allen Schulferien kam er nach Turin gefahren mit einer großen Kiste voller Leckereien für sie von der Schwiegermutter: Wurst, Salami, das saftigste Stück Schinken, gebackene Feigen, eingelegte Sardinen, Honig vom Hügel. Alles begleitet von der fürsorglichen Botschaft: »Das macht Milch, soll ich dir von meiner Mutter ausrichten. Und einen Kuss für den kleinen Rino.«
Marisa bedankte sich bei ihrem Mann mit einem echten Kuss und zog ihn auf das Bett neben meiner Wiege. »Du hast mir so gefehlt, mein Liebster«, sagte sie. Dann, mit einer Umarmung und noch einem Kuss, streifte sie ihm die Maske zornigen Stolzes vom Gesicht und rang ihm ein Lächeln ab.
Als sie mich nach Spillace brachten, war ich fast zweieinhalb Jahre alt und kannte niemanden. Mein Vater hat mir immer erzählt, dass ich aus dem Postbus stieg, der mittlerweile bis zur Piazza fuhr, die Gasse bis zu unserem Haus hinabrannte und mich, ohne zu zögern, zuerst in die Arme der Großmutter, dann in die der Urgroßmutter warf, die ich untergut einem Dutzend Frauen ausgewählt hatte, welche mich neugierig erwarteten.
»Rinuccio hat die Stimme des Blutes gehört«, sagte mein Vater begeistert. Und meine Mutter beeilte sich, der Sache ihre Magie zu nehmen: »Das war reiner Zufall. Bild dir bloß nichts ein.«
Seitdem wuchs ich mit drei Müttern auf: Nonna Lina nannte ich Mammalì, Uroma Sofia Mammasofì und meine echte Mutter einfach Marisa, weil ich dachte, dass das »Ma« in ihrem Namen für Mama stünde.
So in Watte gepackt, zwischen drei Paar Händen, die mich ununterbrochen fütterten, zwischen Küssen, Liebkosungen und Umarmungen, war es schwierig, kein pummeliges Hätschelkind zu werden. Kurz, dasselbe Verwöhnprogramm wie in Turin.
Draußen jedoch konnte ich mit barfüßigen und tollkühnen Kinderbanden spielen, ich als Einziger mit polierten Schuhen an den Füßen, in ihren Augen also quasi ein Marsmensch. Mit ihrer Hilfe eroberte ich mir jeden Tag ein weiteres Stück der grenzenlosen Freiheit, Hühner, Katzen und Hunde durch die steinigen Gassen zu jagen. Und wenn ich verschwitzt und hungrig nach Hause kam, sagte Mammalì den süßen Satz, der mir noch heute im Ohr klingt: »So schöne Kinder wie dich gibt’s heute gar nicht mehr, und wenn doch, sind sie nicht wie du.«
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Die deutlichste Erinnerung aus meiner Kindheit ist ein Ostermontag auf dem Hügel des Rossarco. Ich war vier oder fünf Jahre alt, mein Vater hatte mir eine Schaukel gebaut, indem er
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