Der Hügel des Windes
beweisen. Vielleicht wurde Krimisa von Hannibal im zweiten Punischen Krieg zerstört und erlitt so das gleiche Schicksal wie das wenige Kilometer entfernte Petelia, das seine Allianz mit Rom nicht verraten wollte. Oder, noch wahrscheinlicher, es wurde von einem Erdbeben dem Boden gleichgemacht – vergessen wir nicht, dass dies ein seismisch aktives Gebiet ist –, demselben sehr starken Erdbeben, das laut Orsi den Tempel des Apollon Alaios und die umliegenden Wohnbauten komplett zerstört hatte. In beiden Fällen litten die Bewohner Höllenqualen. Das ist sicher. Ihr Schmerz, ihr Blut sollten die Erde auf ewig zeichnen. Die Überlebenden hatten alles versucht, das Gedächtnis an Krimisa zu bewahren, bis die heimtückische Malaria sie auf die Berge fliehen ließ und ein Erdrutsch von gewaltigem Ausmaß alles unter sich begrub.
Bis auf Ninabella war die gesamte Familie Arcuri um denalten Umberto Zanotti-Bianco und die Mutter versammelt, die über Krimisa diskutierten. Jeder von uns suchte Bestätigung in den Augen der anderen, eine Kette von Blicken, die den ganzen Hügel des Rossarco umspannte.
Der Senator verkündete, dass er die Finanzmittel für eine neue Ausgrabungskampagne zusammenhatte. »Zu viele Jahre sind schon vergangen, ich weiß. Aber wir leben in schwierigen Zeiten, es wird mehr Geld in die ›Ware Kultur‹ gesteckt als in die ›wahre Kultur‹ mit h. Es war ein ständiger Kampf, das könnt ihr mir glauben. Doch nun ist es wichtig, dass seriöse Arbeit geleistet wird. Die Ausgrabungsleiterin wird natürlich Marisa sein. Nicht, weil ich ihr so zugetan bin, und auch nicht, weil ihrem Mann das Land gehört, sondern wegen der Verdienste, die sie auf diesem Gebiet erworben hat.«
Meine Mutter war gerührt, mein Vater stolz und ich, aus Solidarität mit beiden, gerührt und stolz. Mammalì, gebranntes Kind nach den Erfahrungen mit dem Archologen Paolo Orsi, der grub und grub und nichts zutage brachte als die Skelette zweier Toter, wusste nicht, was sie von all dem halten sollte, und reagierte mit Gleichgültigkeit. Die Einzige, die sichtlich unzufrieden war über die Ausgrabungen und ihr Personal, war Mammasofì. »Lasst den Hügel doch einfach mal in Frieden, sage ich. Je mehr ihr grabt, umso mehr leidet er«, schimpfte sie mit schriller Stimme.
Ich musste unwillkürlich lachen über die bizarre Vorstellung, unser Land könne leiden wie ein Christenmensch. Mammasofì ist verrückt, dachte ich überzeugt. Die anderen stimmten mit mir in kollektives Gelächter ein, die sympathischste Art, den aufkeimenden Protest, den sie nicht ernst nahmen, zu ersticken.
»Wann geht es los?«, fragte mein Vater.
»Wenn alles gutgeht, in etwa zehn Tagen, sobald meine Mitarbeiter aus Sizilien da sind. Der Rest der Mannschaft kommt aus Cosenza und Reggio«, erwiderte Mama und wandte sich dann fürsorglich an den alten Umberto: »Jetzt essen wir zu Mittag, und heute Abend bringen wir dich nach Cirò zum Bahnhof, damit du nach Rom zurückkehren kannst. Wir haben seit einigen Monaten eine asphaltierte Straße, die Spillace mit Marina verbindet. Auch hier geht es voran.«
Meinem Vater gefiel der Hinweis auf das Vorankommen, und da er vor Auswärtigen immer gut über Spillace und seine Bewohner sprach, wies er während der Autofahrt auf die Ländereien, die dem ehemaligen Großgrundbesitzer Don Lico gehört hatten und nun von den Bauern genutzt wurden, die neue Obstbäume pflanzten, Olivenbäume und Getreide und alles in Ordnung hielten wie einen Empfangssalon. Sie hatten diese Flurstücke im Zuge der Agrarreform bekommen, die jedoch, wie sich herausstellte, zu klein waren, um eine Familie zu ernähren, so dass die jungen Leute schon wenige Jahre nach der Zuweisung gezwungen waren, nach Frankreich, Deutschland oder Norditalien auszuwandern. »Gute Arbeiter, unsere Jungs hier«, schloss mein Vater, »die sind daran gewöhnt, Opfer zu bringen und zu schuften, und es ist kein Zufall, dass sie da oben Erfolg haben, in einer gesunden Welt, wo gute Arbeit noch wertgeschätzt und entlohnt wird, wie es sich gehört.«
Wir kamen ins Dorf. Es sah aus wie eine einzige riesige Baustelle. Man sah Arbeitertrupps, die nach einer Überschwemmung die Straßen herrichteten, und kleinere, aus einem Vorarbeiter und drei, vier Hilfskräften bestehendeGrüppchen, die die Häuser der Emigranten bauten oder sie renovierten. Als wir aus dem Auto stiegen, wurde der Eindruck chaotischer Betriebsamkeit noch von einer Woge schwarzer Schwalben
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