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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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das Intervall länger, der Fußfall schwerer wurde. Er wohnte im dritten Stock. Im zweiten hörten die Schritte auf. Schweres Keuchen. „Dritter Stock!“, rief er hinunter. Keuchen. „Ja … ich weiß … nur einen … Moment. Nicht … mehr der Jüngste, … bald in Pension...“  
    Der Mann grinste. „Ja, ja, in Ordnung. Lassen Sie sich Zeit. Kriegen Sie keinen Herzinfarkt!“ Sein Telefon läutete. Ein Mal, zwei Mal.  
    „ Ihres?“, rief der der Postbote hinauf. 
    „ Ja.“ Der Mann blickte, immer noch an der Türschwelle stehend in die Wohnung, unschlüssig. Von unten: „Heben Sie ruhig ab. Ich hole noch ein wenig Luft!“ 
    „ In Ordnung! Bin gleich wieder da.“ Er ging zum Telefon, das nur wenige Meter vom Eingang entfernt an der Wand montiert war. Kurz bevor er abheben konnte, hörte er  ein neues Geräusch. Schritte. Wieder. Diesmal leicht, leise, schnell. 
    „ Scheiße.“ Er wirbelte herum, stürzte auf den Eingang zu, hatte die Klinke schon in der Hand, schaffte es fast, wurde mit voller Wucht von der Tür getroffen, gegen die Wand geschleudert, sah nur einen Schatten, spürte, wie etwa Hartes, Kaltes gegen seine Stirn schlug.   
    Aus.  
     
     
    ***  
     
     
    Als er wieder zu sich kam, die Arme hinter den Rücken gebunden, einen schalen Geschmack im Mund, dazu ein hämmernder Schädel, sah er in ein Gesicht, das zwar nicht mehr das jüngste war, wahrscheinlich zu einem Mann Ende sechzig gehörte, aber gleichzeitig eine Entschlossenheit, eine Wut ausdrückte, die nicht so recht zu einem Postbeamten passte, der sich auf seinen Ruhestand freute. Die   Pistole, die auf einen Punkt zwischen seinen Augen gerichtet war, verstärkte diesen Eindruck. 
    Er kannte den Mann.  
    Wo ist der Schlüssel? Ich zähle bis zwei.“   
    Das Entsichern der Waffe wurde von einem hässlichen „Klick“ begleitet. Der Mann, der Alexander fünf Jahre zuvor zur Grenze gefahren hatte, sagte ihm was er wissen wollte, bevor jener „Eins“ sagen konnte.  
     
     
    ***  
     
     
    „ Ich lasse Sie dann alleine.“ Der Bankbeamte schickte sich an zu gehen. 
    „ Nein, warten Sie, ist schon gut.“ Alexander führte den Schlüssel in das Schloss ein. Das leise Klicken des Verschlussmechanismus, das das Schließfach entriegelte, ließ ihn beruhigt ausatmen. Er zog das Fach heraus, hob den Deckel kurz an. Wertpapiere, Banknoten, Münzen und Anleihen. Er erkannte auf den ersten Blick, dass nichts angerührt worden war. Der Fahrer hatte das Fach nicht gefunden. Deshalb auch der Zettel. Alexander verschloss das Fach wieder und lächelte den Bankbeamten an. 
    „ Wir können.“ 
    „ Alles zu Ihrer Zufriedenheit?“ 
    „ Alles perfekt.“ Alexander zögerte. „Ich wollte nur nachsehen, ob noch alles da ist. Wahrscheinlich werden Sie mit einem solchen Kundenwunsch nicht allzu oft konfrontiert.“ 
    Der Bankangestellte neigte höflich den Kopf und bedeutete Alexander, vorzugehen. „Öfter, als man glauben würde.“

1990 
     
     
    Trotz allem hatte er sich die Nummer die ganzen Jahre hindurch gemerkt. Es läutete zwei Mal, dann die erwartete Stimme: „Fleischer?“  
    „ Herr Fleischer, schön, Ihre Stimme zu hören. Herzliche Gratulation zur Beförderung. Man hört, Sie hätten sie sich redlich verdient.“ 
    Der Agent reagierte bemerkenswert schnell und gefasst.   
    „ Alexander, das ist ja eine Überraschung. Und danke.“ 
    „ Gerne. Die Überraschung selbst ist hoffentlich eine freudige.“ 
    „ Das kommt darauf an, was Sie wollen.“ 
    „ Mein Leben zurück.“ 
    „ Das wird einigermaßen schwierig.“ 
    „ Immerhin ehrlich.“ 
    „ Nur, wenn es nicht anders geht.“ 
    Alexander musste lächeln.  
    „ Aber ich kann Ihnen etwas anderes anbieten.“ 
    „ Ich höre.“ 
    „ Kommen Sie morgen nach Dienstschluss vorbei, dann erzähle ich es Ihnen. Sie wissen ja, wo mein Büro ist.“ 
    „ Ja, das weiß ich. Wie könnte ich das vergessen.“ 
    „ Wie könnten Sie das vergessen...“ Alexander sah Fleischer vor sich, wie er nickte. „... kommen Sie morgen nach Parteienverkehr. Wir haben einiges zu besprechen.“ 
     
     
    ***
     
     
    Weder die Kälte des Gebäudes, noch seine Architektur, noch sein Klang konnten ihn diesmal einschüchtern. Er hatte anderes gesehen. Die Gänge waren wie immer leer, die Tür wie immer offen. Doch als er das Büro betrat, saß Fleischer nicht wie sonst auch immer hinter seinem Tisch und wartete grußlos, bis sich Alexander gesetzt hatte.

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