Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Stattdessen stand er, streckte die Hand aus und sagte: „Was Ihnen geschehen ist, tut mir unendlich leid.“
***
„Pension?“
„ Das Mindeste, das ich tun kann.“ Fleischer räumte zwei saubere Gläser und die in Reserve gehaltene Flasche Whiskey aus der Schublade. Er schenkte Alexander zwei Finger hoch ein, dann tat er sich selbst den gleichen Gefallen.
„ Ich bin fünfundfünfzig!“
„ Sie sind Österreicher. Sie sollten schon längst Ihren wohlverdienten Ruhestand genießen.“
Alexander schüttelte den Kopf. „Ich will nicht raus, ich will rein. Wieder zurück.“
„ Zurück? Zurück wohin.“
„ In den Dienst, ins Hotel. Ich sagte Ihnen doch: Ich will mein Leben zurück.“
Der Kommerzialrat nahm einen Schluck, betrachtete Alexander über den Rand des Glases.
„ Haben Sie denn nichts gelernt?“
„ Was meinen Sie?“
„ Soviel ich weiß, waren Sie fünf Jahre weggesperrt. Haben Sie daraus nichts gelernt?“
„ Sie meinen, dass es manchmal anders kommt, als man denkt.“
„ Ein wenig untertrieben, aber ja, das meine ich.“
„ Doch das habe ich gelernt. Das hat man mir sogar gesagt.“
„ Darauf sollten Sie vielleicht hören.“
„ Sie war etwas sphingenhaft.“
„ Wer?“
„ Die Person, die mir das sagte.“
„ Das macht nichts. Sie hatte trotzdem recht.“
Alexander studierte sein Gegenüber, versuchte den Ausdruck, die Falten, die Furchen, die Flächen dieses Gesichts zu lesen. Es gelang ihm nicht. Wahrscheinlich hatte er Fleischer all die Jahre unterschätzt. Er wischte den Gedanken beiseite. Vor ihm saß der Mann, der sein Leben zerstört hatte. Er würde zahlen.
„ Ich war fünf Jahre tot. Das reicht mir fürs Erste. Bringen Sie mich im Imperator unter und lassen Sie mich für Sie arbeiten. Mehr will ich nicht.“
„ Sie machen einen Fehler.“
„ Das macht nichts.“
Fleischer schüttelte betrübt den Kopf. „Gut, wenn Sie es wollen, dann soll es so sein.“ Er stand auf, streckte die Hand in einer feierlichen (spöttischen?) Geste aus und sagte: „Willkommen im Dienst.“
***
Er wählte die andere Nummer, die er sich gemerkt hatte.
„ Ich bin drinnen.“
„ Jetzt warten wir.“
Dvorschak klang zufrieden.
„ Jetzt warten wir.“
Wie wir waren
Wir hatten es geschafft! Wir waren trunken vor Sieg. Es gab keine Feinde mehr. Der Große Satan war besiegt worden – dass der Sieger nun selbst so genannt wurde, konnten wir nur belächeln. Wir hatten das Ende der Geschichte erreicht, es gab keinen Zukunft mehr, nur noch die Gegenwart. Yuppies gab es nicht mehr, plötzlich war man smart. Man raunte von Neuen Technologien, die das Antlitz unserer Gesellschaft ändern würden, Kriege waren keine Kriege mehr, sondern Durchmärsche in denen der Große Sieger endlich sein Trauma aus Südostasien überwinden konnte. Das Öl floss in Sturzfluten, wir wurden immer noch reicher.
Im Kunstforum in Wien hingen sie das Bild eines Magnum-Fotografen auf, das zwei Franzosen zeigte, gestriegelt und geschniegelt, wie sie in einem Pariser Straßencafé Zigaretten rauchten, die Augen halb geschlossen, entspannt, hedonistisch. Das Bild hieß „Warum Frankreich den Krieg verlor.“
Manche von uns stimmte das Foto nachdenklich, aber die meisten gingen einfach daran vorbei. Wir genossen unsere eigene milde Pariser Nachmittagssonne genau so, wie sechzig Jahren zuvor die beiden Franzosen die ihre. So wie sie hatten wir gerade einen Krieg gewonnen. Am Horizont war kein Feind auszumachen.
Eine seltsame Zeit.
Niemand fragte sich, wohin das führen sollte: Eine Existenz so ganz ohne das Böse, ohne den Feind.
Für uns, die wir für die verschiedensten Dienste gearbeitet hatte, sah es zunächst so aus, als bräche unsere Welt zusammen. Spätestens als der größte Staat, den die Menschheit je gesehen hatte, auseinanderbrach, schien es, als gäbe es für uns keine Arbeit mehr. Wenn die einen keinen Krieg führen wollten und die anderen nicht mehr konnten – wer sollte uns dann noch brauchen?
Die Neuen natürlich.
Die Neuen, die nicht mehr in Grenzen, sondern in Zahlen dachten. In Zahlen, von denen man zuvor noch nie etwas gehört hatte. So etwas wie einen Gewinn gab es nicht mehr. Stattdessen sprachen sie in Akronymem: Ebit, Ebitda, EGT.
Süchtig waren diese Leute nach zwei Dingen: Boni. Und Information.
Für Zweiteres waren wir
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