Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
zuständig.
Wirtschaftsspionage.
Wir waren wieder im Geschäft.
Schneller als gedacht.
1994
Johannes war ohne seinen Bruder ins Kaffeehaus gekommen. Das Lokal war praktisch leer, die meisten Gäste saßen im Schanigarten. Es war Mai, Alexander hätte gerne ebenfalls draußen die Sonne genossen, die Kälte aus seinen Knochen vertrieben, aber Johannes zog die Innenräume vor. Er war vor kurzem siebzehn geworden und hatte sich selbst zu einem Kaffeehaus-Puristen erklärt. Als solcher saß man immer „im“ Lokal und nie „davor.“ Alexander hatte sich gefügt. Mit einem Siebzehnjährigen zu streiten hatte dieses Jahrzehnt keinen Sinn. So viel hatte er schon gelernt. Er fragte auch nicht nach Benjamin. So viel hatte er auch schon gelernt.
Hätte Alexander in seinen Sohn hineinschauen können, er wäre weniger betrübt gewesen. Denn in seinem Inneren genoss dieser es, mit seinem Vater ein Glas Wein zu trinken. Auf Augenhöhe, als Erwachsener Pläne zu wälzen. Über seine Zukunft. Über das Leben, das er noch vor sich hatte. Alexander hörte zu, lauschte der Stimme seines Sohnes, diesem Rhythmus des Lebens, diesem Klang, der ihn sich Gewahr werden ließ, das nicht alles mit ihm selbst enden würde.
Es war jetzt besser als früher. Jetzt, da die Kinder keine Kinder mehr waren. Das Gefühl des Verlustes war geringer. Es war ein wenig so wie die Tage, die man zu Hause vor dem Fernseher verbrachte, weil man keine Kraft hatte, vor die Türe zu treten. Auch da war es weniger schlimm, wenn es draußen regnete. Die späte Pubertät seiner Söhne war ein wenig wie dieser Regentag: Selbst wenn Alexander die Möglichkeit gehabt hätte, seine Söhne öfter zu sehen, welcher gesunde Siebzehnjährige will seine Freizeit schon mit seinen Eltern verbringen? Also genoss er die Stunde, die ihm sein Sohn gewährte und lauschte dessen Visionen, die zunächst zögerlich, dann aber immer atemloser über seine Lippen kamen.
„ Wie geht es Deiner Mutter?“, fragte er schließlich, als er spürte, dass sein Sohn alles erzählt hatte, was an diesem Tag in seinem Inneren brannte, als er spürte, dass es ihn wieder wegzog von seinem Vater.
Johannes wischte sich eine Strähne aus der Stirn.
„ Gut, denke ich.“
„ Gut?“
„ Ja. Denke schon.“
„ Was macht sie so.“
„ Weiß nicht. Das Übliche.“
„ So wie immer?“
„ So wie immer.“
„ In Ordnung.“
***
„Es ist soweit.“
Alexander konnte sich nicht erinnern, Dvorschak jemals so aufgeregt gehört zu haben.
„ Was ist soweit?“
„ Fleischer. Ich glaube, wir können ihn kriegen.“
„ Wo sind Sie?“
„ Wo schon?“
„ Ich bin in zwanzig Minuten da. Bestellen Sie für mich mit.“
***
„Aber ich verstehe nicht, wie ihn das vernichten soll. Gut, sein Erspartes, ist dann wahrscheinlich verloren ...“ Alexander studierte die Unterlagen, die vor ihm lagen. Auf dem Teller, den er weggeschoben hatte, lag ein unberührtes, kaltes, halbes Grillhuhn.
„ Essen Sie das noch?“
„ Wie?“ Alexander blickte hoch. „Nein, nein, ich glaube nicht.“
„ Dann bin ich so frei.“ Dvorschak spießte das Huhn auf und wuchtete es auf seinen eigenen Teller. Er hatte in den letzten Jahren zugenommen, sich einen Wohlstandsbauch angegessen, dazu ein passendes, kleines Wohlstandsdoppelkinn. „Sie müssen mehr essen“, meinte er zwischen zwei Bissen.
„ Ja, ja“, murmelte Alexander. Dann klappte er die Unterlagen zu. „Aber ich verstehe immer noch nicht, wie ihn das vernichten soll.“
Dvorschak nickte, zeigte auf seinen vollen Mund.
„ Schlucken Sie nur.“ Alexander wartete vorgeblich geduldig, bis Dvorschak wieder imstande war, zu reden.
„ Es ist ganz einfach“, sagte dieser schließlich.
„ Das ist gut. Erklären Sie es mir trotzdem?“
„ Aber natürlich: Sie werden ihn um Hilfe bitten und so auf eine Idee bringen.“
„ Ich höre.“
***
Es war ein wunderbarer Plan.
Alles andere als einfach.
Aber er konnte funktionieren.
***
„Alexander? Das ist eine Überraschung. Was kann ich für Sie tun?“ Fleischer stand auf und bedeutete dem ihm unterstellten Agenten, er solle sich setzen. Er öffnete seine Schublade, holte die Flasche und zwei Gläser heraus. Dann sah er die grüne Flügelmappe, die vor Alexander auf dem Tisch lag.
„ Ist das für mich?“
„
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