Der Hueter der Koenigin - Historischer Roman
und erlesene Mahlzeiten, aber der Hausherr neigte nicht zur Völlerei. Einzige Ausnahme bildeten die Zusammenkünfte der Händlergilde, auf denen ritualisiert getrunken wurde, bis sich niemand mehr auf den Beinen halten konnte. Wittiges, der vor Jahren auf Betreiben von Josephus der Händlergilde beigetreten war, begleitete Claudius zu einem derartigen Treffen, um die alten Eide, wie es üblich war, zu erneuern oder zu bestätigen. Die Versammlung fand im Haus eines Händlers in der burgundischen Hälfte von Marseille statt. Alle Mitglieder der Bruderschaft fürchteten sich vor dem drohenden Krieg gegen die Langobarden, der auch das Hauptgesprächsthema bildete.
Schneller als sonst waren fast alle betrunken.
„Weißt du, mein Freund“, - einer der Händler klopfte Wittiges zutraulich auf die Schulter -, „wenn doch bloß dieser Frömmler endlich abserviert wäre. Dieser kinderlose Trauerkloß, der selbst kein Schwert in die Hand nimmt.“
„Guntram?“
„Wer denn sonst? Gibt’s noch einen von der Sorte?“
„Und dann?“ Wittiges kämpfte gegen die Wirkung des Weins an und blinzelte mühsam ins Licht der Lampen, die ihm viel zu grell schienen. Woran erkannte man einen waschechten alten Burgunder? Schon zur Römerzeit hatten sich in Gallien die Völker gemischt, mehr noch als in Spanien, weil hier mehr Volksstämme durchgezogen waren, bis sich vor wenig mehr als hundert Jahren diese alte burgundische Herrschaft etabliert hatte, von der gerade die Rede war.
„Dann wird das glorreiche Burgundia wie Phönix aus der Asche auferstehen“, lallte sein Nachbar.
„Und wer soll dann herrschen?“
Voller Kummer dachte Wittiges an Felix. Er wollte doch nur seinen Sohn zurück haben.
„Hast du nicht gehört, dass es einen neuen ... neuen ... “
Leider mischte sich nun Claudius ein. „Am Hof in Konstantinopel lebt ein Sohn Clothars, der neuerdings irgendwelche Ansprüche stellt, wie ich gehört habe. Gundowald. Der Thronprätendent Gundowald. Merk dir den Namen. Mit dem Mann müssen wir rechnen.“ Claudius sprach noch erstaunlich verständlich, diese Trinkfestigkeit hatte Wittiges ihm gar nicht zugetraut.
„Meinst du den? Gundowald?“ Wittiges rüttelte seinen Nachbarn, der auf seinem Sitzplatz hin und herschwankte, als ob er gleich zu Boden stürzen würde.
„Nein, nein, lass mich, ich will schlafen ...“ Der Mann wehrte sich gegen seinen Griff.
Claudius schüttelte nur den Kopf und ließ sich von einem anderen Mann in ein Gespräch ziehen. Die beiden wankten unterhakt quer durch den Raum zu einer freien Liege. Wittiges sah ihnen nach und wandte sich wieder an seinen Nachbarn.
„Ist nicht von einem Jungen die Rede? Und von einem General Cniva?“, schrie er dem Mann ins Ohr. „Sag mir, was du weißt.“
„Ich will noch Wein!“
„Wo finde ich diesen Thronerben? Sag’s mir!“ Wittiges versuchte, den Kerl wach zu halten, der sich nun zurücklegte und einen Rülpser von sich gab.
„Orleen.“
„Orleen? Was heißt Orleen?“, schrie Wittiges.
Aber der Mann sank in sich zusammen und schnarchte nun so laut, dass ihn wahrscheinlich nicht einmal die Posaunen des jüngsten Gerichts wecken konnten. Zwischen den anderen Mitgliedern der Gilde war längst die große Verbrüderung in Gang, das Umarmen und Schwören, das Wittiges ekelhaft fand, weil er den stinkenden Atem der Trunkenbolde, die feuchten Küsse und vor Rührung überquellenden Augen unerträglich fand. Bevor noch die Diener eintraten, um ihren Herren auf die Beine oder eine Trage zu helfen und sie nach Hause zu schaffen, verließ er die Versammlung. Am nächsten Tag fragte er Claudius nach dem Ort Orleen, aber dieser hatte noch nie davon gehört. Claudius brummte der Schädel und zeigte sich weiteren Fragen nicht sonderlich zugänglich. Wittiges erkundigte sich dennoch nach dem Mann, der von Orleen gesprochen hatte, und begab sich unverzüglich zu dessen Haus. Aber dort fertigte man ihn an der Tür ab. Der Herr, hieß es, sei unpässlich. Mit so viel Anstand, wie Wittiges gerade noch aufbrachte, verabschiedete er sich und kündigte an, später wiederzukommen.
Da er sich beim Weintrinken einigermaßen zurückgehalten hatte, ging er den restlichen Tag seinen Geschäften nach, unablässig den Abend herbeisehnend, um noch einmal bei seinem Trinkkumpan vorzusprechen. Er hatte bereits einiges an Getreide gekauft und musste nun Vereinbarungen über den Transport treffen. Sein Knecht würde die Ladung bis casa alba begleiten. Außerdem
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